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4. August 2024, 10:10 Uhr

Prüfen, rufen, drücken: Damit retten Sie ein Leben!

Dr. Alexander Dinse-Lambracht ist der Chef der Notaufnahmen in Aurich und Emden. Im Interview erklärt er, warum der Song Highway to hell Leben retten könnte.

Lesedauer: ca. 5min 05sec
Dr. Alexander Dinse-Lambracht, Chefarzt des Interdisziplinären Notfallzentrums: Keine Angst, einfach loslegen mit der Wiederbelebung! Foto: Anevita

Dr. Alexander Dinse-Lambracht, Chefarzt des Interdisziplinären Notfallzentrums: Keine Angst, einfach loslegen mit der Wiederbelebung! Foto: Anevita ©

Ostfriesland Wie rettet man Menschen mit einem Kreislaufstillstand das Leben? Es ist gar nicht schwer, sagt der Chefarzt der Notaufnahmen der Krankenhäuser in Aurich und Emden, Dr. Alexander Dinse-Lambracht:

Der Rettungsdienst im Landkreis Aurich wird gern kritisiert. Offenbar zu Unrecht, das legt jetzt die SWR-Recherche nahe. Der Rettungsdienst bringt mehr Patienten nach einer Wiederbelebung lebend ins Krankenhaus als die Statistik eigentlich nahelegen würde. Was machen Sie und die Kollegen des Rettungsdienstes richtig?

Der Rettungsdienst hier ist wirklich gut organisiert und die Planung wird gut gemacht. Die Zusammenarbeit zwischen unseren Krankenhäusern und dem Rettungsdienst ist hervorragend.

Kann es auch daran liegen, dass hier im Landkreis Aurich die Notfallsanitäter sehr viel mehr medizinische Hilfsmaßnahmen ergreifen dürfen als anderswo?

Ja, das ist so. Hier sind sie gut ausgebildet und haben sehr weitreichende Befugnisse. Bei einem Kreislaufstillstand sind die ersten Minuten entscheidend, der Notarzt ist oft noch gar nicht da. In dieser Zeit können die Kollegen alle Maßnahmen ergreifen, die lebenserhaltend sind und in der Ausbildung gelehrt wurden.

Die medizinischen Fachgesellschaften halten acht Minuten als Dauer bis zum Eintreffen der professionellen Helfer für notwendig, doch das Land Niedersachsen gibt gesetzlich 15 Minuten vor. Das ist ein Dilemma für Sie, oder?

Es ist richtig: Jede Minute zählt. Mein Eindruck ist, dass der Rettungsdienst im Landkreis sehr schnell ist und oftmals unter den 15 Minuten liegt. Oft wird diese Acht-Minuten-Vorgabe anders interpretiert, und auch die Studie, aus der sie stammt, macht dies so: Es sollte organisierte Hilfe innerhalb von acht Minuten vor Ort sein. Es muss dann nicht immer der Notarzt sein. Es muss nur jemand sein, der eine Wiederbelebung ausführen kann oder einen Defibrillator dabei hat. Das führt mich dazu: Wir brauchen ein besseres Ersthelfer-System.

Wir kommen also zur First-Responder-App: Medizinisch vorgebildete Menschen können auch in ihrer Freizeit von der Leitstelle per App alarmiert werden, wenn in der Nachbarschaft etwas passiert. Diese App soll seit Jahren kommen, aber bisher ist sie noch nicht da.

Die First-Responder-App hilft, Verantwortung für den Nächsten zu übernehmen. Diese App muss unbedingt kommen, aber vorher benötigt die Leitstelle Wittmund nach meiner Kenntnis noch ein Systemupdate. Der Verein „Gesundes Ostfriesland“ hat das Thema auch auf der Tagesordnung und ich setze große Hoffnungen auf ihn, dass er uns bei der Verbreitung und der Akzeptanz einer solchen App helfen kann.

Ich glaube, was eine solche App angeht, da kriegen Sie schnell einen Konsens in Ostfriesland.

Es ist halt sehr einfach geworden. Jeder hat ein Handy heutzutage. Früher hatten die Ersthelfer einen richtigen Pieper, der sehr empfindlich war. Wir könnten auf ein Riesenpotenzial zurückgreifen. Feuerwehrleute, Pfleger, Ärzte oder gut ausgebildete Ersthelfer ohne medizinischen Hintergrund: Sie alle könnten helfen.

Lieber heute als morgen?

Ja, es ist wirklich, wirklich nützlich. Alle, die sie haben, berichten nur Gutes darüber. Auch die rechtlichen Fragen sind inzwischen alle geklärt. So weit ich weiß, soll die App im nächsten Jahr kommen.

Jetzt mal ganz praktisch: Vor mir bricht ein Mensch zusammen. Ich weiß nicht, was er hat. Was soll ich tun? Ich weiß ja noch nicht mal, wie man richtig den Puls fühlt...

...brauchen Sie nicht.

Nicht? Also wie geht es dann?

Das Motto lautet: Prüfen, rufen, drücken. Das heißt: Prüfen Sie, ob der Patient wach ist oder nicht. Antwortet er nicht, dann überprüfen wir die Atmung: Den Patient auf den Rücken legen, den Brustkorb beobachten und direkt am Mund fühlen, ob ein Luftzug vorhanden ist. Im Zweifelsfall entscheidet man sich immer für das Schlechtere: Bewusstlos und atmet nicht. Dann rufen Sie laut: Hier ist ein Patient mit einem Kreislaufstillstand! Sie rufen den Rettungsdienst oder weisen jemanden an, ihn zu rufen. Er ist europaweit unter der Nummer 112 erreichbar. Gibt es einen Defibrillator in der Umgebung, lasse Sie ihn holen. Und dann beginnt die Reanimation: Der Patient liegt ja schon auf dem Rücken, dann mit beiden Händen hart und schnell auf die Mitte des Brustbeins drücken, etwa fünf Zentimeter tief.

Muss ich ihn nicht zwischendurch beatmen?

Nein. Nur wenn Sie es gelernt haben. Normalerweise sollte noch genug Sauerstoff in der Lunge sein, um das Blut damit zu versorgen.

Wurden da Regeln zurückgenommen?

Ja, um Hemmungen abzubauen. Wichtig: Nach einem Kreislaufstillstand kann es sein, dass es noch eine Schnappatmung gibt. Dies ist aber keine echte Atmung.

Was kann ich falsch machen? Was ist, wenn das Herz schlägt, und ich merke es nicht?

Dann wird der Patient es Ihnen schon sagen. Aber selbst, wenn das Herz schlägt und der Patient bewusstlos ist, ist die Herzdruckmassage wichtig. Das machen auch wir Profis so.

Was ist, wenn ich ihm eine Rippe breche?

Das ist nicht schlimm. Einfach weitermachen. Beide Hände ineinander legen, vor den Patienten knien und mit durchgestreckten Armen kräftig drücken.

Man hört immer wieder, dass Notärzte den Rhythmus der Herzmassage finden, indem sie an ein Musikstück denken. Richtig?

Ja, das ist so. Die Frequenz der Herzdruckmassage sollte 100 bis 120 Mal drücken pro Minute sein. Das entspricht in etwa dem Beat von „Highway to hell“...

...sind Sie sicher, dass das richtige Lied für eine Reanimation ist...?

...ok, „Stayin‘ alive von den Bee Gees funktioniert vom Rhythmus her auch.

Besser. Die Leitstelle hilft mir doch, wenn ich die noch am Telefon habe, oder?

Ja. Das wird regelmäßig gemacht und funktioniert auch. Die Leitstelle gibt genaue Anweisungen und der Rhythmus wird durch ein Metronom vorgegeben. Ich habe einmal erlebt, wie Eltern so angeleitet wurden, ihr Kind wiederzubeleben, und es hat funktioniert. Die Eltern haben Ihr Kind gerettet. Es wäre sonst vermutlich gestorben.

Es gibt immer mehr Defibrillatoren. Sind sie wirklich so einfach, dass man sie auch im Notfall und mit viel Angst und Nervosität bedienen kann?

Ja, es ist wirklich sehr einfach. Man findet sie dort, wo ein grüner Aufkleber mit weißem Herz klebt. Viele Behörden, große Firmen und andere Einrichtungen mit viel Öffentlichkeitsverkehr haben inzwischen einen Defibrillator. Man schaltet ihn ein, und dann spricht er mit einem und sagt genau, was zu tun ist. Man kann da nichts falsch machen. Das Gerät analysiert den Herzrhythmus automatisch, entscheidet, ob ein

Einfacher geht es nicht: So können Laien Leben retten.

Einfacher geht es nicht: So können Laien Leben retten. © michaelsoukop

Schock abgegeben werden muss oder nicht – und gibt den Rhythmus für die anschließende Herzdruckmassage vor. Die Geräte sind inzwischen so gut, dass wir sie beim Transport direkt am Patienten lassen.

Was kann ich falsch machen als Ersthelfer? Wenn der Patient stirbt, kann man mich dafür belangen?

Nichts. Sie sind immer abgesichert. Denn: Der Patient ist ja schon tot, wenn Sie anfangen zu reanimieren. Das einzige, was man falsch machen kann, ist: Nichts zu machen. Niemand muss Angst davor haben. Aber man kann sich natürlich auf solche Situationen vorbereiten und beim örtlichen Roten Kreuz oder anderen Anbietern einen Kurs besuchen.

Umgekehrt: Wenn ich nichts mache, kann ich dann belangt werden wegen unterlassener Hilfeleistung?

Sie vermutlich nicht, aber ich schon. Ich bin ja ein professioneller Helfer und man kann es von mir zu Recht erwarten. Aber noch einmal: Es ist ja so einfach. Prüfen, rufen, drücken – und dann kommen auch schon die professionellen Retter. Da ist es doch viel schlimmer, wenn ein Mensch vor unseren Augen stirbt – oder aufgrund von Sauerstoffmangel Schäden bleiben.

Der SWR hat auch geschaut, wie viele Menschen in Ostfriesland mehr als 30 Minuten bis ins Krankenhaus brauchen. Es sind 17000, vor allem in der Krummhörn und auf den Inseln wird es schwierig.

In akuten Notfällen kommt der Rettungsdienst und beginnt schon im Rettungswagen mit der Behandlung. Auf den Inseln ist es etwas schwieriger, aber auch dort gibt es ein gutes Rettungssystem und auch eine gut funktionierende Luftrettung.

Wie viel Zeit habe ich als Angehöriger, wenn mein Partner oder meine Partnerin am Boden liegt und nicht reagiert?

Das kann man nicht sagen, weil man nicht weiß, was wirklich die Ursache ist. Also im Zweifel: Einfach loslegen!

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