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1. Juli 2023, 06:00 Uhr

Quo vadis, ärztliche Versorgung?

Schon jetzt sind die Arztpraxen voll, auch im Brookmerland. Der Samtgemeinde steht mit der künftigen Nähe zur Zentralklinik in Georgsheil zusätzlich eine große Herausforderung ins Haus.

Lesedauer: ca. 4min 06sec
Quo vadis, ärztliche Versorgung?

Brookmerland Wer zum Arzt muss – egal ob zum Allgemeinmediziner oder zum Facharzt – der kennt das Problem: Kurzfristig ist oft kein Termin zu bekommen. Dabei lassen sich Beschwerden beziehungsweise Schmerzen nicht planen.

Frustrierend ist das nicht nur für die leidgeplagten Patienten. Denn der Grund für die schlechte Verfügbarkeit von Ärzten liegt häufig an deren Überlastung. Schon jetzt ächzen die Mediziner unter der schieren Masse an Behandlungssuchenden. Eine Kommune, der in Zukunft in Sachen medizinischer Versorgung noch größere Herausforderungen ins Haus stehen, ist die Samtgemeinde Brookmerland. Durch die unmittelbare Nähe zur – aller Voraussicht nach 2028 fertiggestellten Zentralklinik in Georgsheil (siehe Seite 8) – erwarten die Verantwortlichen in der Verwaltung einen Zuzug von Menschen nach Marienhafe, Upgant-Schott, Leezdorf und Co. Mit dem Zuzug verbunden wird ein weiter steigendes Patientenaufkommen sein – das Problem der überfüllten Arztpraxen dürfte sich also verschärfen.

Wie sehen Mediziner vor Ort diese Entwicklung? Plant die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) – die, der Name lässt es erahnen, für die Vergabe von Kassenarztplätzen zuständig ist – neue Arztstellen zu schaffen? Der KURIER hat mit den Verantwortlichen gesprochen.

Mehr Patienten bedeuten Abzüge bei der Bezahlung

„Es werden immer mehr Patienten. Während es in einigen Praxen bereits Annahme-Stopps gibt, behandeln wir weiterhin Neu-Patienten. Ich kann es mit meiner Berufsethik nicht vereinen, wenn ich Leute einfach abweise“, berichtet der Marienhafer Internist und Hausarzt Dr. Andreas Fischer.

„Wenn in ein paar Jahren dann noch mehr Patienten im Brookmerland durch die Nähe zur Zentralklinik dazukommen, sehe ich schwarz“, so Fischer. Für ihn seien KVN und Politik nun gefordert. Denn neben mehr Kassenarzt-Sitzen, die es auf dem Land brauche, gibt es für ihn noch ein weiteres Problem, das einer breiten, guten medizinisches Versorgung im Weg stünde.

„Ich habe als Kassenarzt rund 1000 Patienten, für die ich im Quartal voll bezahlt werde. Sollte ich über dieser Anzahl liegen, bekomme ich Abzüge bei der Vergütung. Das kann es doch auch nicht sein. Da behandelt man schon mehr Menschen als eigentlich vorgesehen, weil es an allen Ecken und Enden fehlt, und wird dafür dann auch noch bestraft“, so Fischer. Rund 6000 Menschen seien es aktuell bereits, die im Quartal in seine Gemeinschaftspraxis kommen.

Mehr Kassen-Sitze wird es nicht geben

Zumindest in diesem Punkt stimmt Fischer mit der KVN überein. „Die Abschaffung der Honorarkürzungen ist eine alte Forderung der KVN und unser Ziel“, so Sprecher Detlef Haffke. Der Schwarze Peter liege bei der Politik und den Krankenkassen. Denn laut Haffke müssten Gesetze geändert und Krankenkassenbeiträge gegebenenfalls erhöht werden, um die Praxis der Honorarkürzungen Geschichte werden zu lassen.

Da besonders das Erhöhen der Krankenkassenbeiträge unpopulär scheint, wird es wohl erst einmal dabei bleiben, dass Ärzte für Mehrarbeit schlechter entlohnt werden. So bleibt der Anreiz, mehr Patienten zu behandeln als vorgesehen, gering.

Und wie sieht es mit den Kassen-Sitzen aus? Ist da seitens der KVN hinsichtlich des Zentralklinik-Baus im Brookmerland eine Anpassung geplant? Hier blockt die Vereinigung ab. Man könne nicht „einfach“ die Anzahl der Sitze erhöhen, so Sprecher Detlef Haffke. Er erläutert: „Nach der gesetzlich vorgegebenen Bedarfsplanung kann die KVN nur eine bestimmte Anzahl von Kassenzulassungen erteilen. Betrachtungsraum für die Niederlassungen im hausärztlichen Bereich sind sogenannte Mittelbereiche. Der Mittelbereich Aurich umfasst die Städte und Gemeinden Aurich, Großefehn, Ihlow, Südbrookmerland und Wiesmoor. Hier leben 101 341 Bürgerinnen und Bürger. Ein Hausarzt soll 1607 Menschen betreuen. 63 Hausärzte sind niedergelassen. Der Versorgungsgrad beträgt 101 Prozent. Bis zur Sperrung (ab 110 Prozent) können noch 5,5 Hausärzte zugelassen werden. Unabhängig von der Reform der Krankenhausstruktur versucht die KVN, diese Hausarztsitze zu besetzen. Dies ist vor dem Hintergrund des Ärztemangels bisher nicht gelungen. Im fachärztlichen Versorgungsbereich ist der gesamte Landkreis Betrachtungsraum. Hier gibt es nur zwei freie Sitze für Nervenärzte. Der Versorgungsgrad liegt bei allen anderen Fachgruppen bei über 110 Prozent.“

Mehr Kassen-Arztsitze sind also laut KVN im Brookmerland nicht geplant, da man hier eigentlich überversorgt ist– obwohl die Realität in den Praxen eine andere ist. Und auf Entwicklungen eingehen – wie der Bau der Zentralklinik – könne man ebenfalls aufgrund der gesetzlich geregelten Bedarfsplanung nicht. Wenn man sich jedoch anschaut, dass die gesetzliche Bedarfsplanung vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgenommen wird, wird ersichtlich, dass die KVN sich diese gesetzliche Grundlage teilweise selbst verordnet. Denn die Kassenärztliche Bundesvereinigung – der Dachverband der regionalen Vereinigungen – ist mit zwei Mitgliedern in dem Ausschuss vertreten.

Kommt das Marienhafer Ärztehaus?

Der Brookmerlander Samtgemeindebürgermeister Gerhard Ihmels (SPD) bewertet diese Vergabe-Praxis von Kassenarzt-Sitzen, die auf einer undurchsichtigen Bedarfsplanung fußt, kritisch. „Ich bin da bei den Ärzten. Wenn man sieht, dass die Ärzte bei uns von morgens bis abends durchschuften müssen, weil sie so viele Patienten haben, mag zwar der theoretische Versorgungsgrad stimmen. Wenn ich aber durch Überlastung immer mehr Ärzte verliere, sollte ich vielleicht überlegen, mehr Kassenarzt-Sitze zu schaffen, um das bestehende System nicht zu überfordern und letztlich zu sprengen“, so Ihmels. „Das eigentliche Problem ist doch, dass mehr Kassenarzt-Sitze Geld kosten. Natürlich muss das irgendwo herkommen. Aber wir müssen uns in Zukunft einfach grundsätzlich die Frage stellen, was uns eine gute ärztliche Versorgung – gerade auf dem Land – wert ist. Und sie muss uns viel wert sein“, so der Brookmerlander Verwaltungschef.

Die Ansiedlung der Zentralklinik in unmittelbarer Nachbarschaft sieht er dagegen sogar als Chance für die medizinische Versorgung in seiner Kommune. „Natürlich verstehe ich die Sorge, dass das Patientenaufkommen steigen wird. Jedoch wird mit der Zentralklinik auch die allgemeine Infrastruktur bei uns in der Samtgemeinde besser werden. Und vielleicht siedelt sich ein Facharzt dann doch einmal bei uns an“, so Ihmels.

Vielleicht in dem geplanten Marienhafer Ärztehaus, dass der Verwaltungschef in einem KURIER-Gespräch vor zwei Jahren bereits erwähnte? „Möglicherweise. Aber das ist ehrlich gesagt noch ein Schubladen-Projekt. Trotzdem werden wir es nicht aufgeben und zu gegebener Zeit in Angriff nehmen“, sagt Gerhard Ihmels auf Nachfrage.

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