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3. Juli 2024, 07:00 Uhr

Richter zeigt Verständnis: Psychiatrie statt Gefängnis trotz beachtlicher Straftatenliste

Das Landgericht Aurich sieht den Ursprung der zahlreichen Delikte eines 38-Jährigen in seiner Krankheit

Lesedauer: ca. 2min 46sec
Gewalt im Wahn: Der 38-Jährige aus Emden ist an paranoider Schizophrenie erkrankt. Foto: pixabay

Gewalt im Wahn: Der 38-Jährige aus Emden ist an paranoider Schizophrenie erkrankt. Foto: pixabay ©

Aurich Während seiner Obdachlosigkeit beging ein 38-jähriger Emder viele Aggressionstaten, die sich gegen unterschiedlichste Personen richteten. Das Landgericht Aurich verurteilte ihn wegen mehrerer vorsätzlichen und gefährlichen Körperverletzungen, Angriffe auf Polizisten und Widerstandshandlungen, Bedrohung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren. Doch der Angeklagte ist kein Fall für das Gefängnis. Das Gericht ordnete den Verbleib in einer psychiatrischen Klinik an. Denn die Taten sind Ausfluss einer schweren Erkrankung an paranoider Schizophrenie.

„Ihm muss geholfen werden“, mahnte der Verteidiger des Emders in seinem Plädoyer. Dieser Appell stieß bei Staatsanwältin und Richtern durchaus auf Zustimmung. Aber da war auch noch die andere Seite der Medaille, nämlich der Schutz der Allgemeinheit. Denn es waren nicht wenige Menschen, die unter den Aggressionen des Angeklagten zu leiden hatten. So traf der 38-Jährige im August 2022 auf einen Bekannten, mit dem er in Streit geriet. Erst erhielt der Bekannte einen Faustschlag ins Gesicht, der ihn zu Boden streckte. Dann schlug und trat der Angeklagte weiter auf ihn ein.

Dieser Bekannte wurde auch im Mehrfamilienhaus, in dem er lebte, zum Opfer eines Angriffs. Der Angeklagte behauptete, dass der Mann im Hausflur mit einer Schreckschusswaffe auf ihn geschossen habe. Ob dem tatsächlich so war, blieb offen. Klar war aber, dass der Angeklagte den Mann ins Haus verfolgt und geschlagen hatte. Eine Nachbarin hatte die Hilferufe des Mitbewohners gehört und anschließende Schüsse. Dass der 38-Jährige auf den Rücken des Bewohners geschossen hatte, wurde durch Schmauchspuren belegt, die sich an der Hand des Angeklagten und dem Rückenteil der Jacke des Opfers fanden.

An die meisten Fälle konnte sich der Angeklagte nicht mehr erinnern. Bei einigen Begebenheiten wähnte er sich einem Angriff des Gegenübers ausgesetzt. Aber das waren Verkennungen der Realität, die auf die Erkrankung zurückzuführen waren. So wollte ein Mitarbeiter der „Alten Liebe“ das Hausrecht gegen den Angeklagten durchsetzen, der schon zuvor Hausverbot erhalten hatte. Doch anstatt das Grundstück zu verlassen, ließ der Emder die Fäuste „wie zwei Propeller“ fliegen und verletzte den Mitarbeiter.

Ebenso erging es einem Mann, in dessen Wohnung der Angeklagte eindrang und ihn übel zusammenschlug. Dann ließ sich der 38-Jährige in der Wohnung nieder, wo die Polizei ihn halbschlafend antraf. Auch einen Wohnwagen auf einem privaten Grundstück wollte der Angeklagte als Ruhedomizil nutzen. Hier wurde er ebenfalls aggressiv und handgreiflich, als er fortgeschickt wurde. In zwei Fällen waren Polizisten die Leidtragenden von tätlichen Angriffen und Widerstandshandlungen.

Bei allen Taten, so die einhellige Meinung der Prozessbeteiligten, war der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung in seiner Steuerungs- und damit auch Schuldfähigkeit erheblich eingeschränkt. Nicht nur geistig, sondern auch körperlich war er in einem desolaten Zustand, der sich in der Untersuchungshaft noch verschlimmerte. Erst seit der vorläufigen Unterbringung in einer forensischen Klinik geht es ihm besser.

„Sie brauchen diese Behandlung weiterhin. Ich habe das Gefühl, dass Ihnen das ganz gutgetan hat“, stellte Richter Christopher Olthoff fest. Der Emder müsse weiterhin Medikamente nehmen und brauche ein stabiles Umfeld. Erst wenn die Ärzte der Ansicht seien, dass der 38-Jährige stabil genug sei, könne man darüber nachdenken, die Unterbringung zur Bewährung auszusetzen und dem Emder ein betreutes Wohnen anzubieten. Denn nur die Behandlung könnte ihn wieder zu dem Menschen machen, der er einst war: Ein ruhiger und freundlicher Zeitgenosse, wie ihn Menschen beschrieben, die ihn schon länger kennen.

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