Schüsse fallen im ostfriesischen Drogenmilieu
Der Hauptbelastungszeuge gibt Einblicke in die Hintergründe der Tat
Lesedauer: ca. 2min 51secDie Hintergründe der Schießerei in Emden am 4. März 2021 sollten am zweiten Verhandlungstag vorm Landgericht erhellt werden. Der Hauptbelastungszeuge reiste eigens aus Stuttgart an, um sein Wissen preiszugeben.
Am Tattag soll sich der heute 41-jährige Angeklagte aus der Krummhörn mit zwei Männern in der Nähe des Kickers-Stadions getroffen haben. Zunächst soll ein 28-jähriger Oldenburger eine Schreckschusswaffe abgefeuert haben. Daraufhin, so heißt es in der Anklage, zog der Angeklagte eine scharfe Waffe und schoss dem dritten Mann, einem 24-jährigen Oldenburger, ins Bein. Vor dem Landgericht hatte das Opfer des Schusses erstmals ausgesagt und den Angeklagten als Täter benannt. Als Grund für das Treffen gab er an, dass er bei einem früheren Treffen vom Angeklagten beleidigt worden sei. Sein Begleiter habe deswegen ein klärendes Gespräch führen wollen.
Tatsächlich hat es sich nach Angaben des Hauptbelastungszeugen aber um eine Tat in Verbindung mit Drogengeschäften gehandelt. Der Angeklagte sei vor Jahren sein Ausbilder in der Einzelhandelsbranche gewesen. Zufällig habe man sich wiedergetroffen und verabredet. Bei diesem Gespräch habe der Krummhörner erzählt, dass er Drogen besorgen könne. Wegen der günstigen Preise habe er fortan sein Amphetamin, Kokain und andere Drogen vom Angeklagten bezogen, gab der 34-jährige Stuttgarter an.
Er hat ebenso wie der Angeklagte seine Wurzeln im bürgerlichen Milieu und arbeitete mehrere Jahre bei einer Bank. In diesem vermeintlich seriösen Umfeld habe er 2017 zum ersten Mal in seinem Leben Drogen konsumiert, erzählte der Zeuge. „Noch in der Bankbranche hatte ich Kontakt mit Kokain und Prostituierten. Das ist so in den Kreisen“, meinte der Zeuge lapidar.
Dann habe er den Job gekündigt, um selbst krumme Geschäfte zu machen und mit gefälschten Sonnenbrillen Geld zu verdienen. Dabei sei er immer tiefer in die Drogenszene gerutscht, habe immer mehr konsumiert und auch selbst verkauft. Er sei etwa ein halbes Jahr lang Kunde des Angeklagten gewesen und habe dabei auch Schulden angehäuft.
Der Angeklagte habe ihm dann im Frühjahr 2021 mitgeteilt, dass er sein „Geschäft“ mit dem Drogenhandel für 250.000 Euro und der Zahlung von jeweils 50.000 Euro pro Monat über den Zeitraum von zwei Jahren verkauft habe. Sein Nachfolger werde den Stuttgarter auch weiterhin zu den vorherigen Konditionen beliefern. Der Geschäftsnachfolger werde aber auch die Schulden des Zeugen übernehmen.
„Ob der Vorfall mit den Schüssen in Zusammenhang mit dem Verkauf steht, kann ich nicht sagen“, gestand der Zeuge. Aber einen Tag vor dem Vorfall am Kickers-Stadion sei der Angeklagte bei ihm gewesen. Der 41-Jährige habe ihm gesagt, dass er das spätere Opfer „abknallen“ und „platt machen“ werde. Der 24-Jährige versuche, ihn abzuziehen und sei in Wohnungen seiner Freunde eingebrochen, soll der Angeklagte dem Zeugen berichtet haben. „Die Waffe hat er mir vorher schon mal gezeigt“, erzählte der Stuttgarter. „Er sagte, dass man vorbereitet sein muss, wenn man nach Holland zu den Geschäftspartnern fährt.
Etwa zwei bis drei Wochen nach dem Vorfall in Emden sei der Angeklagte zum letzten Mal bei ihm gewesen. „Er war vorher kurz untergetaucht, aber an diesem Tag nicht ansprechbar. Er stand unter Drogen, war verhaltensauffällig und paranoid“, so der Stuttgarter.
Zu der Geschichte vom „Abziehen“ passt ein Fund von zwei Joggerinnen, die am Tattag die Schießerei gehört, sich hinter Autos versteckt und die Polizei alarmiert hatten. Sie fanden in Tatortnähe einen sauberen Briefumschlag. Durch das Klarsichtfenster war erkennbar, dass sich in dem Umschlag ein 20-Euro-Scheinbefand, der Rest des Inhalts bestand aus Papierschnipseln. Eine exakte Rekonstruktion des Tatgeschehens aufgrund der Spurenlage war aber nicht möglich.
Der Prozess wird fortgesetzt.