Statistik-Amt rechnet Tausende von Menschen einfach weg
Das Landesamt für Statistik hat durchgezählt. Oder eher: Hat hochgerechnet, wie viele Menschen im Land wohnen. Das Ergebnis auch für Ostfriesland ist skurril: Von heute auf morgen haben manche Städte bis zu einem Viertel weniger Einwohner. Wie kann das sein? Und: Wo sind sie hin?
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Fast menschenleerer Strand auf Norderney. Wo sind sie alle hin? Das Landesamt für Statistik hat sie weggerechnet. © Volker Bartels/dpa
Ostfriesland Ganze Landstriche in Ostfriesland: entvölkert. Auf den Inseln streifen Menschen einsam durch zugige Gassen: Das niedersächsische Landesamt hat mit seinen neuen Bevölkerungszahlen für die Kommunen des Landes für Verwunderung gesorgt. Und oft für Entsetzen.
Auf Juist sind 441 Bürgerinnen und Bürger verschwunden, mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Auf Norderney fehlen rund 800, das sind etwa 13 Prozent, in Südbrookmerland mehr als 600. Auf Spiekeroog soll plötzlich ebenfalls ein Viertel aller 850 Insulaner verschwunden sein.
Plötzlich verschwinden Menschen
Wie kann das sein? Die verschwundenen Menschen sind ein Nebeneffekt des Zensus 2022. Damals war bundesweit versucht worden, die Einwohnerzahl Deutschlands mittels Stichproben und Hochrechnungen herauszufinden. Seitdem beschweren sich landauf, landab die Bürgermeister über die Ergebnisse, die das niedersächsische Landesamt Mitte vergangenen Jahres schickte. Bis Ende des Jahres konnte man Widerspruch einlegen.
„Auf der Insel fehlt niemand“
Das hat Frank Ulrichs, Bürgermeister von Norderney, bereits im November gemacht. Bisher gab es keine Antwort. „Ich bestreite den Vorwurf des Landesamtes, dass wir unser Melderegister nicht ordentlich führen“, sagt Ulrichs. Auf der Insel fehle niemand. Hätte das Landesamt recht, dann hätte sich ja der Wohnungsmarkt entspannt oder die Kitaplatz-Vergabe. Das alles sei nicht der Fall, versichert Ulrichs. Auf Spiekeroog sei man „die Straßen rauf und runter gelaufen“, so Ulrichs, um zu sehen, wer fehlt. Ergebnis: alle da.
Juists Bürgermeister Tjark Goerges kritisiert die Methodik des Landesamtes als intransparent. Man habe ihm auf Nachfrage nicht sagen wollen, wann und wie die Daten erhoben worden seien. „Für mich stellt sich da die Frage nach dem Sinn solcher Statistiken.“
Das Landesamt dementiert
Thorben Gieseler, Sprecher des Statistischen Landesamtes, sagt: „Wir vertrauen unseren Zahlen. Die sind richtig.“ Sein Erklärungsversuch: Menschen verlassen die Städte oder Inseln, melden sich nicht ab. Wohnungen stehen leer, weil sie Ferienwohnungen sind. Es wurden Stichproben bei zehn Prozent der Bevölkerung gemacht, durch persönliche Besuche. „Existenzfeststellung“ heiße das. Man prüfe, ob es die Menschen, die an einer Adresse gemeldet sind, auch wirklich gibt. Sind sie nicht da, werden sie gestrichen – und die Ergebnisse dann hochgerechnet. Und sie basieren auf dem Zensus 2011, bei der ebenfalls schon hochgerechnet wurde. „Damit werden auch die Fehler hochgerechnet“, kontert Ulrichs.