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17. Februar 2024, 16:02 Uhr

Theater in Marienhafe: Erinnerungen an ein Frauenleben mit Film-Einblendungen

Theaterwerkstatt Rosenstraat 13 lädt zur Generalprobe ein – Erfolgreiches Regie-Début von Anika Camp

Lesedauer: ca. 3min 54sec
Der Sohn (Peter Spetzke) überreicht seiner Mutter Blumen zum 77. Geburtstag.

Der Sohn (Peter Spetzke) überreicht seiner Mutter Blumen zum 77. Geburtstag. © Bruns ubr

Marienhafe Neue Wege gehen wollte Anika Camp, die 1. Vorsitzende von Rosenstraat 13, mit ihrem Regiedebút – und das ist ihr auch trefflich gelungen. Davon konnte sich die Presse überzeugen, die zur Generalprobe des Schauspiels „Tage wie Nächte“ von Josef Rödl eingeladen wurde. Schon das war außergewöhnlich, aber sinnvoll, denn alle Vorstellungen in dem kleinen Zimmertheater sind restlos ausverkauft. Wie die Vorsitzende mitteilte, gibt es aber noch eine Chance für alle, die das Stück gern sehen würden: Am 2. März um 18 Uhr wird es ein weiteres, letztes Mal aufgeführt.

„Die Proben mit den beiden haben sehr viel Spaß gemacht“, wandte sich Camp bei der Begrüßung an Gesa Dirks und Peter Spetzke, deren facettenreiches, eindringliches Spiel als Mutter und Sohn begeistert. In den Traumszenen, in denen das Licht ins Bläuliche wechselt, spielt Spetzke auch Maries vor 15 Jahren verstorbenen Ehemann sowie ihren pflichtbewussten, aber kalten Vater, der im Krieg an der Deportation von Juden in die Vernichtungslager beteiligt war und bei den Nürnberger Prozessen verurteilt wurde.

Sequenzen aus vergangenen Zeiten

Auf einer kleinen Leinwand werden die Zuschauer durch Bilder und Filmsequenzen in die Zeiten versetzt, an die sich Marie erinnert. Erinnerungen sind wichtig, denn „Tage ohne Erinnern sind Tage wie Nächte“, wie es am Ende des Stücks heißt. Eingangs werden die typischen schwarzweißen Familien-Aufnahmen mit dem gezackten weißen Rand gezeigt, die für die 1950er-Jahre typisch waren. Weiter wird der Schlager „Capri-Fischer“, ein Welterfolg Ende der 1940er-Jahre, eingespielt sowie Umfragen und Werbefilmchen aus den 1950er-Jahren, in denen den deutschen Frauen eingebläut wurde, was ihre Bestimmung war: als Heimchen am Herd für Mann und Kinder da zu sein. Die Film-Collagen haben Anika Camp und Jann Aden zusammengestellt.

Benjamin Oldewurtel sorgt bei den Aufführungen für die Technik und spricht zudem eine der Telefon-Stimmen, die für das Stück aufgenommen wurden: eine Gewinn-Benachrichtigung. Am Telefon zu hören sind auch die Töchter Ulrike (gesprochen von Lydia Schwitters) und Elisabeth (Anika Camp) sowie eine Nachbarin (Beate Dunne). Sie alle sollten eigentlich zu Maries Geburtstag kommen, aber alle sagen ab, und so bleibt sie allein mit ihrem Sohn, der sie aus dem Pflegeheim abgeholt hat.

Wie Anika Camp einführend informiert, kam Marie im Herbst 1930 als erstes von vier Kindern zur Welt und feiert an dem Tag, den die Zuschauer miterleben, ihren 77. Geburtstag. Ihr Sohn hat sie abgeholt, aber sie erkennt ihr ehemaliges Zuhause nicht mehr wieder. Auch ihr Sohn ist ihr fremd geworden. Durch das hervorragende Spiel von Gesa Dirks fühlen die Zuschauer die Verzweiflung der dementen Frau, der alles abhanden gekommen ist, die immer wieder in der Vergangenheit lebt und glaubt, dass sie gleich mit ihrem Mann und den noch kleinen Kindern feiern wird. Aber die Familie gibt es nicht mehr. Die beiden Töchter, die sich um sie bemüht haben, als sie pflegebedürftig wurde, nehmen ihr übel, dass sie sich für den Sohn entschied, der sie dann ins Pflegeheim abgeschoben hat.

Szenen gehen unter die Haut

Nur an den Geburtstagen holt er sie ab – nicht aus Liebe, sondern weil er es für seine Pflicht hält. Er lässt sie immer wieder allein und denkt nicht daran, ihr aus dem Mantel zu helfen. Sie ist aber von der Aufgabe, den Mantel auszuziehen und die Schuhe zu wechseln, völlig überfordert, kann auch ihren Kuchen nicht mehr allein essen. Als ihr Sohn sie füttert, ist er mit seiner Geduld schnell am Ende. Schließlich wirft sie den Teller wütend zu Boden. Diese Szenen gehen unter die Haut. Sie lassen erahnen, dass in der Mutter-Sohn-Beziehung Gewalt vorprogrammiert ist. Weil er seine Ruhe haben will, bindet der Sohn seine Mutter schließlich am Sessel fest.

Immer wieder schläft Marie dort ein. Im Traum erlebt sie ihren Vater in Uniform, den sie zum letzten Mal gesehen hat, als sie 13 Jahre alt war. Sie hat dann die Tage gezählt: Am 17. Tag kam die erste Post von ihm, am 41. Tag wurde die Stadt bombardiert, am 182. Tag feierte sie ihren Geburtstag. „Erinnern ist Pflicht“, stellt sie fest. Die Erinnerungspflicht fällt ihr aber aufgrund der Kriegsverbrechen, die ihr Vater begangen hat, nicht leicht: „Mein Vater, das Schwein.“

In einem anderen Traum erlebt sie ihren verstorbenen Mann und das folgenreiche Rendezvous am 12. Juli 1953, an dem im Autoradio der Schlager von den Capri-Fischern gespielt wurde. Damals wurde sie zum ersten Mal schwanger. Sie betrachtet das Hochzeitsfoto und stellt fest, dass sie eine schöne Braut war, träumt sich in die Rolle der erfolgreichen Eisprinzessin Marika Kilius. In der Erinnerung kann man sich die schönsten Momente aussuchen, stellt sie fest, und von daher ist Erinnern auch Glück.

Doch die Wirklichkeit der Ehe sieht anders aus, was sie ihrem Mann im Traum vorhält: Er hat ihr verboten, zu arbeiten und den Führerschein zu machen, obwohl er ein paar Mal durch die Prüfung gefallen ist. Schließlich ist er fremdgegangen, hat sie nachts allein gelassen. Sie wünscht sich, dass sie alles zurückbekommt, was sie für ihre Familie getan hat, doch auch in dieser Hinsicht wird sie enttäuscht. „Eltern sind teuer – sie liegen einem auf der Tasche“, findet der Sohn. „Eltern und Kinder – eine Frage der Pflegestufe.“ Am Ende zerplatzen die Luftballons, die Marie zu ihrem Geburtstag erhalten hat.

Karten für die Zusatzvorstellung am 2. März um 18 Uhr gibt es bei Optik Moltz in Marienhafe und im Salon Jochens in Osterupgant sowie telefonisch unter 04934/499975 oder bei WhatsApp unter 0152/24412263.

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