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13. April 2024, 07:00 Uhr

Unkraut im Garten: Einfach mal wachsen lassen!

Der Pflanzenschutz-Experte Udo Hattermann spricht über Kräuter, „Un“-Kräuter und wie man sie los wird, wenn es denn dann doch zu viele werden.

Lesedauer: ca. 4min 32sec
Udo Hattermann aus Norddeich arbeitet bei der Landwirtschaftskammer in Aurich. Er plädiert für mehr Vielfalt im Garten.

Udo Hattermann aus Norddeich arbeitet bei der Landwirtschaftskammer in Aurich. Er plädiert für mehr Vielfalt im Garten. © Stefan Bergmann

Ostfriesland Es ist Frühling, überall grünt und sprießt es. Allerdings auch da, wo der Hobbygärtner es nicht so gern sieht: In Fugen, im Vorgarten und auf der Terrasse. Was tun? Wir haben mit Udo Hattermann gesprochen. Er ist nicht nur Landwirt in Norddeich, sondern auch Pflanzenschutzberater bei der Landwirtschaftskammer in Aurich.

Mein Biologielehrer damals hat immer gesagt: Es gibt kein Unkraut, sondern nur Kraut. Richtig?

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Das ist immer eine Frage der Definition. Man bezeichnet es eher als Beikraut. Ich möchte es in dem Moment an dieser Stelle nicht haben, also ist es nur ein Unkraut. Auch eine Kartoffelpflanzentrieb aus dem letzten Jahr ist dann Beikraut – wenn er in mein Beet mit Gurken wächst und diese dann am Wachsen hindert.

Gänseblümchen im Rasen: Dem einen ein Graus, der andere duldet sie – aus ökologischer Sicht sollte man sich über sie freuen. Und leben lassen.

Gänseblümchen im Rasen: Dem einen ein Graus, der andere duldet sie – aus ökologischer Sicht sollte man sich über sie freuen. Und leben lassen. © Stefan Bergmann

Der Landwirt sieht das bestimmt ähnlich?

Ja, der Landwirt möchte einen Ertrag erzielen, und der wird halt geringer, wenn Kräuter den Kulturpflanzen Nährstoffe wegnehmen oder für Schatten sorgen.

Welchen ökologischen Wert hat der typisch deutsche Rasen, kurz geschoren und sortenrein, ohne ein anderes Pflänzchen dazwischen?

Je weniger Vielfalt vorkommt, desto einseitiger ist es. Und ein Rasen ohne Moos und Kräuter hat fast keinen Nutzen für Insekten. Es sollte immer etwas Blühendes im Rasen sein. Das hilft dann auch Insekten.

...ich habe gelesen: Statt eines Premium-Rasens könnte ich auch alles betonieren und grün anstreichen ...

...das ist vielleicht etwas überspitzt, aber es geht in die richtige Richtung.

Wie lautet Ihr Appell an die Gartenbesitzer?

Lasst doch wenigstens einen Teil des Rasens ein bisschen wachsen und blühen. Es muss ja nicht der ganze sein. Und vielleicht einfach mal eine Blühmischung aussäen in einem Teilbereich des Gartens.

Jetzt kommen wir mal zu den wirklich drängenden Fragen: Seit dem Winter sind die Terrassen grün vor Algen. Egal, ob aus Holz oder Stein. Was tun? Schrubben?

Mit Fleiß erreicht man einiges. Mit dem Hochdruckreiniger auch. Chemie ist manchmal charmanter. Aber manchmal ist es nicht erlaubt oder es ist schädlich für die Umwelt. Manchmal auch beides.

Die Grünbelagsentferner in den grünen Flaschen, die es zurzeit in den Baumärkten für wenig Geld gibt: Sind sie zu empfehlen oder sollte man lieber die Finger davon lassen?

Man muss überlegen: Wofür sind sie zugelassen? Setzt man sie richtig ein, dann kann man sie verwenden. Für den Algenbelag – und daraus bestehen die grünen Verfärbungen – sind diese Mittel zugelassen. Aber nicht auf anderen Flächen wie auf Pflasterwegen gegen Unkräuter. Denn dort sind Pflanzenschutzmittel verboten.

Selbst eine Brennnessel im Garten ist kein Unkraut, sondern eine wertvolle Bereicherung. Tipp: Abpflücken und Tee draus machen.

Selbst eine Brennnessel im Garten ist kein Unkraut, sondern eine wertvolle Bereicherung. Tipp: Abpflücken und Tee draus machen. © Stefan Bergmann

Generell?

Ja. Generell.

Ich müsste also den Bordstein vor meinem Haus auf den Knien rutschend mit einem Messerchen von Unkraut befreien?

Egal, was ich an Mitteln nehme: Es dient der Unkrautvernichtung, und dazu muss es zugelassen sein. Und das ist es nicht auf versiegelten Flächen. Aber es wird Ihnen ja offengelassen, wie Sie das Unkraut beseitigen: Sie kriechen herum, bücken sich und nehmen das Kartoffelschälmesser, oder Sie nehmen eine Drahtbürste oder Sie gehen thermisch ran...

...und ich flämme das Unkraut ab. Das ist erlaubt?

Ja. Das ist erlaubt.

Kommen wir doch mal zu dem in Ostfriesland so beliebten Essig. Er steht palettenweise in allen Supermärkten. Ist er unbedenklich und das Mittel der Wahl?

Wenn ich die Unkräuter nicht mechanisch oder thermisch beseitigen kann oder möchte, ist es möglich, in sensiblen Bereichen wie Terrassen, Auffahrten oder überall, wo Fugen sind darauf zurückzugreifen. Dort ist normalerweise nichts erlaubt. Aber beim Essig macht der Gesetzgeber eine kleine Ausnahme: Zweimal im Jahr im Abstand zwischen sieben und 21 Tagen darf ich eine höchstens sechsprozentige Essiglösung aufbringen, das aber nur, wenn die Temperatur über 20 Grad beträgt. Essig tötet nur das ab, was getroffen. Dafür aber alles. Wenn Essig auf die Pflanzen im Beet nebenan kommt, dann gehen die auch ein. Wir von der Landwirtschaftskammer raten dazu, Essig nur in Maßen einzusetzen.

Essig kann man trinken, kann nicht so schlimm sein. Falsch gedacht, oder?

Ja. Die Dosis macht das Gift. In niedrigen Konzentrationen benutzt man es auch zum haltbar machen. Bei zu hohen Konzentrationen können Sie sich aber auch schädigen. Und Pflanzen sterben halt schon in viel niedrigeren Dosierungen.

Einmal für die Schlaumeier: Wie wirkt Essig?

Essig zerstört die Zellmembran und die Pflanzen gehen ein. Essig ist aber kein systemisches Mittel. Es wandert nicht in die Wurzeln, so dass die Pflanzen wieder aussprießen können. Essig ist nicht nachhaltig und wirkt nicht eine ganze Saison lang.

Noch einmal kurz zum Rasen: Es gibt Mittel, die gezielt Unkräuter im Rasen vernichten, aber nicht den Rasen. Funktioniert das?

Solche Mittel sind getestet und zugelassen worden. Aber mit diesen Mitteln erreiche ich das, was wir am Anfang des Gesprächs thematisiert hatten: Ich habe dann einen ökologisch wertlosen Rasen. Die Mittel funktionieren. Aber das, was dabei herauskommt, halte ich nicht für schön. Lieber ein paar Blumen wachsen lassen im Rasen.

Man könnte auf die Idee kommen: Die Landwirte dürfen alles Mögliche auf ihre Felder sprühen, aber ich darf auf meinem plattierten Weg nicht mal die Fugen besprühen, damit das Unkraut verschwindet. Ist das nicht etwas ungerecht?

Die Landwirt sprühen nicht „alles Mögliche“, sondern nur zugelassene Pflanzenschutzmittel. Die Landwirte sind ausgebildet und sind sachkundig, sie dokumentieren den Einsatz, alles wird kontrolliert. Ähnlich ist es übrigens mit Gärtnern, Förstern oder Landschaftspflegern. Ich darf nichts auf Pflaster sprühen, weil das halt keine landwirtschaftliche Fläche ist, die genutzt wird. Vom Bürgersteig wird das Gift nicht abgebaut, es landet vielmehr in der Kanalisation.

In Ostfriesland hat der Vorgarten eine besondere Bedeutung. Er ist das Aushängeschild für das Haus, den Haushalt, die Familie. Entsprechend piekfein sehen viele Vorgärten aus. Würden Sie auch da zu mehr Gelassenheit raten?

Man sollte darüber diskutieren: Was ist denn ein „gepflegter Vorgarten“? Habe ich eine gepflegte Vielfalt an Sträuchern und anderen Pflanzen, die auch mal Laub abwerfen oder Totholz produzieren, das ich dann entferne. Oder bedeutet „gepflegt“: Ich habe ein monotones Kiesbett? Der Trend geht dazu, dass man seinen Garten als Aushängeschild sieht. Ja. Aber ein Garten braucht Arbeit, und je vielfältiger er ist, desto mehr Arbeit macht er. Streue ich Kies, habe ich diese Probleme nicht. Aber Kiesgärten sind eine ökologische Katastrophe.

Aus diesem Grund sind Kiesgärten ja auch in vielen Orten verboten. Raten Sie insgesamt zu mehr Gelassenheit im Umgang mit Unkraut & Co.?

Ja. Man sollte mehr zulassen, auch mal etwas probieren, Blühpflanzen säen – und im Rasen nicht gleich jedes Gänseblümchen rausrupfen oder bekämpfen.

Sie sind d e r Pflanzenfachmann in der Region: Wie muss ich mir eigentlich Ihren eigenen Garten vorstellen?

Ich mähe meinen Rasen regelmäßig. Aber dort wächst auch Unkraut und Moos. Ansonsten habe ich eine gewisse Vielfalt im Garten. Wenn mich was stört, dann hacke, benutze ein Abflammgerät oder ich streue Rindenmulch oder Mist. Dunkelt die Erde ab – und dann wächst dort kein Unkraut.

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