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8. November 2024, 18:08 Uhr

Verzweifelte Verteidigung oder gezielter Angriff?

Prozess um Stich ins Herz: Sucht des Angeklagten beeinflusste laut Gutachter nicht seine Schuldfähigkeit

Lesedauer: ca. 2min 54sec
Nach wie vor muss sich ein 52-Jähriger vor dem Auricher Landgericht verantworten. Foto: Ute Bruns

Nach wie vor muss sich ein 52-Jähriger vor dem Auricher Landgericht verantworten. Foto: Ute Bruns © Bruns ubr

Aurich/Weener Im Prozess um den gewaltsamen Tod eines 37-jährigen Mannes aus Weener wurde das psychiatrische Gutachten erstattet. Der Sachverständige Wolfgang Trabert kam zu dem Schluss, dass der 52-jährige Angeklagte, der dem Opfer im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung unter anderem einen Stich ins Herz versetzt haben soll, bei der Tatbegehung voll schuldfähig war. Der wegen Totschlags Angeklagte bestreitet, dem Opfer tödliche Verletzungen beigebracht zu haben.

Es gibt laut dem Gutachter keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte schon seit geraumer Zeit von verschiedenen Substanzen abhängig ist. Der 52-Jährige hat über Jahre Kokain, Heroin, Medikamente und Alkohol konsumiert, listete der Sachverständige auf. Auch in der Blutprobe, die dem Angeklagten in der Nacht nach der Tat abgenommen wurde, fanden sich Spuren von Kokain, Amphetamin und Medikamenten. Die Mengen seien aber so gering gewesen, dass nicht von einem Rauschzustand des Angeklagten zur Tatzeit am Nachmittag auszugehen sei, führte Psychiater Wolfgang Trabert aus.

Bereits drei Langzeittherapien hatte der Angeklagte hinter sich gebracht. Wegen seiner Heroinsucht war er über einen gewissen Zeitraum auch substituiert worden. Doch immer wieder war der Angeklagte rückfällig geworden. Zuletzt hatte er vor allem Crack und Cannabis konsumiert – auch noch am Morgen der Tat. „Aber der Rausch ist kurz“, meinte der Sachverständige. Am Nachmittag habe der Angeklagte wohl nicht mehr unter Drogen- und Medikamenteneinfluss gestanden.

Neben der Drogensucht litt der Angeklagte zeitweise auch an Depression und Angststörungen. Die Angststörungen seien erfolgreich behandelt worden. Die Depression war hingegen nicht so ausgeprägt, dass sie behandlungsbedürftig gewesen wäre, sagte der Psychiater. Da auch keine sonstigen psychischen Erkrankungen vorlagen, sah Wolfgang Trabert keinen Einlass für eine Unterbringung in der Psychiatrie oder einer Entziehungsanstalt.

„Der Angeklagte sagte, er könne sich genau an seine Auseinandersetzung in allen Details erinnern“, teilte der Gutachter dem Gericht mit. Der Angeklagte hatte tatsächlich jede Position und Handbewegung, die er und das Opfer während der Auseinandersetzung einnahmen, schildern können. Er behauptete, dass das Opfer mit einem Fleischerbeil auf ihn losgegangen sei. Er habe sich deshalb auf das Opfer zubewegt und den 37-Jährigen in den Schwitzkasten genommen, während der Mann immer wieder mit dem Fleischerbeil auf seinen Kopf eingeschlagen hätte. Aus Notwehr habe er dann sein Messer aus der Tasche gezogen und einmal Richtung Füße und einmal in den Oberschenkel gestochen. Je einen Stich in Rücken und Brust habe er nicht ausgeführt.

Diese Version konnte aber aufgrund der Untersuchungen der Rechtsmedizinerin Vanessa Preuss nicht so ganz stimmen. Denn der Angeklagte wies nur eine stark blutende Schnittwunde am Kopf auf. Den tödlichen Stich hätte er durchaus setzen können, meinte die Rechtsmedizinerin.

Richter Björn Raap hakte hinsichtlich der Erinnerung des Angeklagten noch einmal nach. Denn erst nach der erlittenen Kopfverletzung sei die Erinnerung nicht mehr so gut, hatte der Angeklagte angegeben. „Man kann aus wissenschaftlicher Sicht nicht sagen, ob eine Erinnerung echt und auch vollständig ist“, lautete die Antwort des Gutachters. „Man kann auch bewusst etwas auslassen.“

Enttäuschend verlief für die Prozessbeteiligten die Befragung einer Zeugin, die sich in der vergangenen Woche noch einmal an das Gericht gewandt hatte. Angeblich hatte sie im Gespräch mit dem Bekannten des Angeklagten, der dessen Verletzung nach der Tat versorgt hatte, etwas über das verschwundene Tatmesser erfahren. Der Angeklagte habe ihm aufgetragen, die bis heute unauffindbare Tatwaffe zu entsorgen, soll der Mann angeblich gesagt haben. Richter Björn Raap beauftragte die Polizei mit Nachermittlungen. Doch im Zeugenstuhl wusste die Zeugin davon plötzlich nichts mehr. „Ich weiß nicht, was gesagt wurde. Ich war betrunken“, gab sie an. „Das war jetzt viel Aufwand für nichts“, resümierte der Vorsitzende.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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