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5. Februar 2025, 18:13 Uhr

Warum Schuldnerberater Thomas Obst vor (zu vielen) Handys warnt

Die Zahl der Privatinsolvenzen steigt in den Bereichen Aurich, Emden und Leer seit Jahren kontinuierlich an. Thomas Obst arbeitet im Betreuungsbüro Aurich für den gemeinnützigen Verein Schuldnerberatung Ostfriesland e.V.

Lesedauer: ca. 3min 53sec
Handy

Schuldenfalle Nummer eins vor allem bei jungen Menschen: Aufgrund vermeintlich guter Angebote für neue Handys sammeln sich Mobilfunkverträge an, die alle bezahlt werden müssen. Laut Schuldnerberater Thomas Obst oft der Grund für eine Insolvenz in jungen Jahren. Foto: dpa © Zacharie Scheurer/dpa-tmn/dpa

Ostfriesland. Herr Obst, muss man sich für eine Privatinsolvenz schämen?

Manche Menschen schämen sich dafür, und auf meinem Schreibtisch liegen viele Tempo-Taschentücher bereit. Aber nein: Man muss sich nicht schämen. Man kann in eine solche Situation geraten. Es gab Corona, es gibt die Inflation. Man kann immer gut klargekommen sein mit dem Geld. Und irgendwann klappt es nicht mehr. Also nein: Man muss sich nicht schämen.

Es hat ja vielleicht auch damit zu tun, dass auch Verbraucherinsolvenzen öffentlich gemacht werden im Internet. Ist das nicht zusätzlich noch wie ein öffentlicher Pranger?

Ich glaube nicht, dass da so viele Menschen reinschauen. Ich kann das Gesetz nicht ändern, aber man muss es auch so sehen: Das Insolvenzverfahren ermöglicht es einem, nach dreieinhalb Jahren schuldenfrei zu sein und die Insolvenz ist auch vollständig gelöscht – sowohl bei der Schufa als auch im Schuldnerverzeichnis. Man hat dann keine Schulden mehr.

Was sind die ersten Warnsignale, die aufmerken lassen sollten: Hier läuft bei mir gerade finanziell etwas kräftig schief?

Wenn die Menschen die Übersicht verlieren darüber, was sie wem noch bezahlen müssen und wie viel Geld sie zur Verfügung haben. Ich bemerke vielleicht gar nicht, dass meine Einnahmen die Ausgaben nicht mehr decken.

Um was für Summen geht es?

Wenn jemand fast gar kein Einkommen hat oder nur Bürgergeld, dann können 2500 oder 3000 Euro Schulden schon ein Grund sein, zur Schuldnerberatung zu gehen. Man muss bedenken, dass ein Insolvenzverfahren auch noch Geld kostet. Aber diese Kosten werden entweder gestundet bis nach dem Verfahren, oder man bezahlt sie als Schuldner im Verfahren in kleinen Beträgen ab – dann ist man am Schluss des Verfahrens wirklich schuldenfrei.

Was sind aus Ihrer Erfahrung die Hauptgründe für eine Privatinsolvenz?

Das sind so viele... Wo soll ich anfangen. In der Corona-Zeit haben sich viele kleine Selbstständige abgerackert, aber dann funktionierte es doch nicht mehr. Ein wichtiger Grund ist eine Scheidung, die einen oder beide Partner in die Schulden treibt. Ebenfalls ein wichtiger Grund: Sucht. Bei jungen Menschen ist es manchmal die Situation, dass man volljährig wird, sich von den Eltern löst – und dann nicht weiß, wie das mit den Finanzen geht. Die Menschen schließen dann lange Verträge ab, und das funktioniert nicht.

Lange Verträge, Ratenkauf?

Nein. Eher Handyverträge. Sie glauben nicht, wie viele Menschen hierherkommen und fünf Handys haben. Die Geräte werden ja vor allem Jugendlichen schnell gegeben. Und dann kommen noch zwei Fitnessstudio-Verträge hinzu, und dann wird‘s eng.

Lehnen Sie manche Schuldner ab?

Ich muss wissen, wodurch die Schulden entstanden sind. Wenn jemand eine Kaufsucht hat, die noch nicht behandelt wurde, dann kann ich den nicht in die Insolvenz führen. Wenn die Schulden weg sind, kauft er einfach weiter ein. Aber die nächste Insolvenz kann frühestens nach elf Jahren erfolgen. So lange muss man wenigstens zurechtkommen.

Wenn ich merke, die Schulden wachsen mir über den Kopf, aber ich mache nichts. Was kann mir passieren?

Irgendwann kommen sie alle, denn die Gläubiger werden immer drängender. Oder sie kommen, weil einfach gar kein Geld mehr da ist.

Kann mich so etwas auch ins Gefängnis bringen?

Ja, unter Umständen. Wenn der Gerichtsvollzieher von mir eine Vermögensauskunft verlangt – ich also versichere, dass ich die Schulden nicht bezahlen kann – dann kann es passieren, dass ich in Erzwingungshaft komme. Habe ich die Auskunft abgegeben, ist die Haft aber auch beendet.

Auf Dauer funktioniert eine Vogel-Strauß-Haltung also nicht?

Nein. Nicht auf Dauer.

Gibt es Menschen, die zu Ihnen kommen, aber trotzdem nicht einsichtig sind, dass sie Hilfe brauchen?

Das kommt hin und wieder bei Paaren vor, bei denen nur einer oder eine der Meinung ist, dass man Hilfe braucht. Aber generell möchte ich, dass eine einmal begonnene Insolvenz auch funktioniert. Ich bohre dann vorher sehr hartnäckig nach und versuche, die Menschen zu einer Verhaltensveränderung zu bewegen.

Das ist ja auch gut für Ihre Erfolgsbilanz.

Ach nein, ich möchte einfach, dass es funktioniert. Ich möchte den Leuten helfen. Ich möchte natürlich auch meine Erfolgserlebnisse haben. Die habe ich, wenn die Leute merken, dass ich ihnen wirklich helfen kann und ihnen eine Last von den Schultern nehme. Sie werden entspannter und ruhiger und hören auf zu weinen.

Die Zahl der Insolvenzen in Aurich, Emden und Leer steigt seit Jahren kontinuierlich an. Haben Sie eine Erklärung?

Nein. Es gibt immer wieder ein Auf und Ab bei den Insolvenzen. Aber im Moment haben wir eine sehr lange Phase mit hohen Zahlen. Alle Insolvenzberatungen sind gut beschäftigt. Aber trotzdem kriegen Sie bei uns innerhalb von drei Wochen einen Termin. Früher gab es Wartezeiten von bis zu acht Monaten.

Warum Schuldnerberater Thomas Obst vor (zu vielen) Handys warnt

Sagen Sie mir drei Dinge aus dem finanziellen Bereich, die Sie nie machen würden.

Ich würde nie mehr Geld ausgeben, als ich habe. Ich würde sehr aufpassen, wer von mir für was Geld haben möchte. Es gibt viele Betrüger, die einen übers Ohr hauen wollen.

Und der dritte Rat? Nichts auf Raten kaufen?

Nein, das kann man schon tun. Aber man muss immer vorher gründlich schauen, ob der Job sicher ist. Wenn ich einen Zwei-Jahres-Vertrag habe, sollte ich keine Ratenverträge über drei Jahre abschließen. Aktuelles Beispiel: Viele Leiharbeiterverträge bei VW wurden im Zuge der Krise nicht verlängert. Das hat einige böse überrascht, weil man gedacht hat: Bei VW geht es immer so weiter. Aber das tut es nicht.

Ein Tipp von Ihnen für alle?

Thomas Obst, Schuldnerberater beim Betreuungsbüro Aurich.

Thomas Obst, Schuldnerberater beim Betreuungsbüro Aurich. © privat

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