„Wir sollten angesichts des steigenden Meeresspiegels nicht in Hysterie verfallen“
Oberdeichrichter Gerd-Udo Heikens musste am Donnerstag besonders früh aufstehen: Die Deichschau von Greetsiel bis Emden stand an. Im Interview mit dem KURIER erklärt Heikens, warum Deichbau so teuer ist - und was er über den Wolf in Ostfriesland denkt.
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Herr Heikens, kurz zum aktuellen Anlass: Was hat die Deichschau ergeben, sind wir startklar für den Herbst?
Der Deich und seine Anlagen sind als „schaufrei“ erklärt. Somit ist der Deich der Deichacht Krummhörn für die bevorstehende Sturmflutsaison mit den Herbst- und Winterstürmen gerüstet.<
Was sind denn im Moment Ihre größten Baustellen, und was kommt in den nächsten Jahren?
Die aktuell größte Baustelle in diesem Jahr ist die abgeschlossene Erhöhung und Verstärkung des Deiches im Bereich Groothusen auf 600 Meter Länge. Dieser Deich muss auch im kommenden Jahr auf weiteren 600 Meter erhöht werden und im Jahr 2025 auf weiteren rund 580 m bis Manslagt fertiggestellt werden. Weiterhin wird noch in diesem Jahr damit begonnen, die Binnenberme im Bereich Pilsumer Leuchtturm mit Boden aufzufüllen, damit es bei einer notwendigen zukünftigen Deicherhöhung in diesem Bereich nicht zu Grundbrüchen kommt. Als nächste größere Maßnahme steht die Erhöhung und Verstärkung des Deiches im Bereich des Rysumer Nackens an.
Sie meinen damit den Binnendeich am Rysumer Nacken? Wie verträgt sich das mit Industrieansiedlungen, die zwischen Wasserlinie und Binnendeich liegen. Werden die künftig in den Sturmfluten untergehen? Oder darf es dort einfach keine Ansiedlungen geben?
Wenn wir den Deich in dem Bereich verstärken, dann nehmen wir entweder den existierenden Binnendeich, oder man verlegt die Deichlinie nach vorn. Aber das macht nicht die Deichacht, das muss das Land Niedersachsen mit der Stadt klären. Das Land wird aber keinesfalls aufgegeben, es liegt viereinhalb Meter höher als das Hinterland. Wir empfehlen auf jeden Fall die Eindeichung – vor allem, wenn man dort Industrie ansiedeln will.
Deichbau ist teuer und wird vom Land bezahlt. Haben Sie genügend Geld?
Wir profierten in diesem Jahr sehr davon, dass die Küstenschutzmittel für Niedersachsen aus der „Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz“ um 17 Millionen Euro auf fast 80 Millionen Euro aufgestockt wurden. Leider ist diese Aufstockung bisher nur für dieses Jahr gesichert und muss zwingend mindestens in dieser Höhe auch für die Folgejahre gewährleistet werden. Die Verbände in Niedersachsen fordern bereits seit Jahren die Küstenschutzmittel auf 100 bis 120 Millionen Euro zu erhöhen, um den Anforderungen des Klimawandels nachzukommen.
Die hohen Kosten zeigen sehr konkret die Folgen unserer klimaschädlichen Lebensweise der vergangenen Jahrzehnte, korrekt?
Unsere Deiche werden und wurden seit jeher immer für zukünftige Herausforderungen und nachfolgende Generationen gebaut. Im Rahmen des vorbeugenden Küstenschutzes werden Deichhöhen für die kommenden mindestens 50 Jahre ausreichend bemessen. Nach den uns bekannten wissenschaftlichen Szenarien gehen wir davon aus. dass wir im Jahr 2070 maximal einen Meeresspiegelanstieg von 50 Zentimetern zu erwarten haben. Da bereits heute bei Deichneubaumaßnahmen mit einem Vorsorgemaß von 100 Zentimetern gebaut wird, sind wir aktuell auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet. Aufgrund diesem Vorsorgemaß bauen wir aktuell Deiche, sind aber noch lange nicht fertig und genau hierfür bedarf es einer gesicherten Finanzierung. Generell rate ich zu weitsichtigem Handeln und nicht zur Hysterie.
Einmal kurz zur Wolfsdiskussion. Es wird immer behauptet, Schafe seien wichtig für den Deich, weil sie ihn verdichten und das Gras kurzhalten. Aber sind Schafe da wirklich das wichtigste Element? Müsste ein Deich nicht auch ohne Schafe dem Meer standhalten? Was wünschen Sie sich innerhalb der aktuellen Diskussion zum Wolf in Ostfriesland?
Lassen Sie es mich so sagen: Wenn wir es schaffen, dass der Wolf Gras frisst und mit seinen Füßen den Deich verfestigt, dann geht beides, Schaf und Wolf.
...das wird nicht passieren...
...nein.
Nur, um mal eine Relation zu bekommen: Was kostet es, einen Deich auf einem Kilometer Länge um einen Meter zu erhöhen? Warum ist es so teuer? Vielleicht am Beispiel der aktuellen Baustelle.
Bei der aktuellen Erhöhung des Deiches im Bereich Groothusen belaufen sich die Kosten auf rund 7,25 Millionen Euro für einen Kilometer.
Aber warum ist es so teuer? Der Laie denkt sich: Erde ankarren, schön zu einem Hügel formen und dann war’s das. Aber so einfach ist es vermutlich nicht. Was sind die Herausforderungen?
Nun, wenn wir einen Deich erhöhen, dann fahren wir nicht einfach nur Erde drauf. Wir öffnen den Deich, tragen dafür den Klei ab. Der Deich wird mit Erde aufgefüllt, dann kommt der Klei wieder drauf, und zwar mehr als vorher. Das Deckwerk zum Meer muss erweitert werden. Es müssen eine Drainage verlegt werden und eine Wellenüberschlagsicherung. Die Betonplatten auf der Seeseite haben eine Stärke von 20 Zentimetern. Davon brauchen wir etwa einen Hektar. Jedes einzelne Element dieser Auflistung ist nicht so teuer. Aber die schiere Menge macht es schließlich so teuer. Ein Meter neuer Deich kostet somit 7000 Euro. Aber wir haben es noch leicht: Unsere Vorfahren mussten das alles mit Schubkarren und Schaufeln erledigen.