10 Jahre Gedenkstätte Gnadenkirche Tidofeld: Niemand verlässt freiwillig die Heimat
10 Jahre Gedenkstätte Gnadenkirche Tidofeld und das Thema Flucht und Migration ist so aktuell wie eh und je
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Fragen über Fragen auf die seit nunmehr zehn Jahren in der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld Personen mit eigener Fluchterfahrung ganz persönlich antworten. Hier ist ein Lernort entstanden, denn schließlich hat jeder vierte Mensch eine Fluchterfahrung in der eigenen Familie. Kinder und Jugendliche heute wissen oft nicht, so sagte es Lennart Bohne, Leiter der Einrichtung, was sich hinter Wörtern wie „Memel“ und „Königsberg“ verbirgt. In der Dokumentationsstätte finden sie mehr als nur eine Erklärung – oft für Geschichten der eigenen Groß- und Urgroßeltern.
Das Thema Flucht und Vertreibung biete immer wieder Anknüpfungspunkte, schlug Bohne den Bogen bis in die heutige Zeit, verwies auf Zugezogene, seien es die sogenannten „boat people“, die „Russlanddeutschen“, in jüngster Vergangenheit und jetzt in der Gegenwart Menschen aus Syrien, der Ukraine und anderen Ländern.
Mit einem Festakt feierten etliche Gäste am Donnerstagabend den zehnten Geburtstag der Dokumentationsstätte. Superintendent und Vereinsvorsitzender Christian Neumann sprach von fünf „Meilensteinen“, um zu erläutern, wie aus der Idee seines Vorgängers Dr. Helmut Kirschstein, des Historikers Bernhard Parisius und des KURIER-Chefredakteurs Johann Haddinga ein Verein entstand, der Gelder einwarb, mit Anton Lambertus einen ersten Geschäftsführer bestellte. Inzwischen gibt es unter der Leitung von Lennart Bohne gemeinsam mit Anna Jakobs als Geschäftsführerin sowie etlichen Ehrenamtlichen längst Ideen für eine Erweiterung der Dauerausstellung.
„Es geht uns alle an, wir können nicht wegschauen!“ Das war so etwas wie die zentrale Botschaft des eingeladenen Historikers und Autors Dr. Andreas Kossert, der aus seinem aktuellen Buch „Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“ las, vor allem aber deutlich machte, wie sensibel dieses Thema ist. „In jedem von uns steckt ein Flüchtling“, zitierte Kossert Rupert Neudeck, der seinerzeit mit dem Schiff „Cap Anamur“ Tausende der „boat people“ rettete und sich vehement für geflüchtete Menschen einsetzte. Jeder könne schon morgen zum Flüchtling werden, griff Kossert weitere Aussagen Neudecks auf und machte besonders auf den oftmals problematischen Sprachgebrauch gerade in Medien in Zusammenhang mit Fluchtgeschichten aufmerksam. „Flüchtlingswelle“, „Flüchtlingsflut“ – bedeute das also, Dämme, Deiche zum Schutz aufbauen zu müssen? Es helfe nicht, statt „Flüchtling“ „Geflüchteter“ zu sagen, erklärte Kossert weiter, das suggeriere, alles sei vorbei, alles gut geworden. „Das verschleiert viel, denn das Thema ist fast nie erledigt.“