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9. Januar 2024, 11:22 Uhr

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Die Demonstranten fordern: „Hört uns endlich zu“

Der Protest der Landwirte in Emden erfährt viel Unterstützung auch aus anderen Branchen

Lesedauer: ca. 2min 50sec
Der Protestzug endete unmittelbar vor dem Emder Rathaus. Vertreter der Stadt wurden bei der Kundgebung dann allerdings vermisst.

Der Protestzug endete unmittelbar vor dem Emder Rathaus. Vertreter der Stadt wurden bei der Kundgebung dann allerdings vermisst. © Till Oliver Becker

Lauter Applaus brandet auf, als Reza Darbani die Bühne betritt. Die Bühne, das ist die an einer Seite geöffnete Ladefläche eines Aufliegers, der an der Delftseite des Stadtgartens abgestellt wurde. Es wirkt fast so, als zeige sich hier ein Popstar seinen Fans. Darbani aber ist kein Popstar, er ist Heizungsbauer und Sanitärinstallateur bei einem Emder Fachbetrieb. Angestellt, nicht der Boss.

Einer der Hauptkritikpunkte: Die Bundesregierung hört den Betroffenen in den diversen Branchen nicht zu.

Einer der Hauptkritikpunkte: Die Bundesregierung hört den Betroffenen in den diversen Branchen nicht zu. © Till Oliver Becker

Aber Darbani ist in Emden das, was man einen bunten Hund nennt. Das, was er sagt, trifft die Meinung der etwa 500 Zuhörer im Stadtgarten, das zeigt der immer wieder aufbrandende Applaus. Habecks Heizungsgesetz bekommt als Erstes sein Fett weg. „Aus beruflicher Erfahrung kann ich sagen, das ist paradox. Das funktioniert nicht, was die sich vorstellen.“ Um Wärmepumpen einbauen zu können, müssten viele Häuser erst saniert werden. Und diese Kosten seien immens. Unwirtschaftlich, ruft jemand hinein. Darbani nickt.

„Wir sind das Volk und Ihr seid unsere Angestellten“ - Ein Hinweis auf die Prinzipien der Repräsentativen Demokratie.

„Wir sind das Volk und Ihr seid unsere Angestellten“ - Ein Hinweis auf die Prinzipien der Repräsentativen Demokratie. © Till Oliver Becker

Die Veranstaltung eröffnet um kurz nach 14.30 Uhr am Montag Oliver Weißmann. Der war kürzlich in die Kritik geraten, weil er sich rechtsextrem geäußert habe. Das weist der VW-Arbeiter von sich. „Wer mich kennt, weiß, dass das Blödsinn ist“, Weißmann wähnt sich falsch zitiert. Als er sagt, dass rund 80 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit der Regierung unzufrieden seien, erntet er Zustimmung.

Im Vorfeld war davor gewarnt worden, Rechtsextreme könnten den Protest kapern. Das ließen die Landwirte nicht zu.

Im Vorfeld war davor gewarnt worden, Rechtsextreme könnten den Protest kapern. Das ließen die Landwirte nicht zu. © Till Oliver Becker

Landwirt Peter Habbena landet den ersten Rundumschlag des Tages. Die Agrarpolitik der EU nimmt er am Beispiel von Bruderküken auseinander. Politikverdrossenheit, sagt er, sei ein Ergebnis der bürgerfernen Regierungsarbeit in Deutschland.

Die Kundgebung am Stadtgarten stieß auf breites Interesse

Die Kundgebung am Stadtgarten stieß auf breites Interesse © Till Oliver Becker

Eher wenig mit Landwirtschaft zu tun hat Oliver Hirsch. Der Emder Apotheker war trotzdem eingeladen worden, um von den Problemen der Gesundheitsbranche zu berichten. Hirsch führt an, dass es seit über zehn Jahren keine Anpassung der Vergütungen für die Apotheken gegeben habe. „Viele können so nicht mehr durchhalten,“ etwa 4000 Apotheken hätten in den vergangenen Jahren bereits aufgeben müssen. Eine flächendeckende Versorgung sei kaum noch gewährleistet, dazu kämen neuerdings auch immer neue Lieferengpässe.

Vom Straßenrand wurde den Fahrern im Protestzug immer wieder zugewunken. Auch wurden sie beklatscht und mit dem gestreckten Daumen begrüßt.

Vom Straßenrand wurde den Fahrern im Protestzug immer wieder zugewunken. Auch wurden sie beklatscht und mit dem gestreckten Daumen begrüßt. © Till Oliver Becker

Der Spediteur Walter Dettmann nennt Folgen der Verteuerung des Verkehrs. Lkw-Maut, Dieselpreis, Energiekosten – wo bisher etwa 12 000 Euro Umsatz monatlich pro Fahrzeug ausgereicht hätten, um Löhne und Ausgaben zu tragen, müsse er mittlerweile fast 17 000 Euro umsetzen. „Das ist schon fast nicht mehr zu schaffen“, sagt er.

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Gastgewerbe sorgt dort für weitere Teuerungen. Entsprechend schlossen sich auch Gastwirte und ihre Mitarbeiter dem Protest an.

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Gastgewerbe sorgt dort für weitere Teuerungen. Entsprechend schlossen sich auch Gastwirte und ihre Mitarbeiter dem Protest an. © Till Oliver Becker

Aus Solidarität dabei ist auch Gerold Conradi. Der Sprecher der Greetsieler Fischer macht klar, dass seine Zunft hinter den Landwirten steht. Man sitze sprichwörtlich im selben Boot.

Solidarität zeigten auch die Krabbenbauern aus Greetsiel.

Solidarität zeigten auch die Krabbenbauern aus Greetsiel. © Till Oliver Becker

Die angekündigte Gegendemonstration blieb aus. Weit hinten, am Fürbringerbrunnen, steht zwar die Emder Gruppe der „Omas gegen rechts“, aber die wirkt bei dieser Veranstaltung etwas fehl am Platz. Denn, Rechtsradikale sind nicht zu entdecken. Die im Vorfeld geäußerten Befürchtungen, der Protest könnte zum Beispiel von der AfD gekapert werden, haben sich nicht bestätigt. Viele Teilnehmer hatten sich auch entsprechend positioniert. „Landwirtschaft ist bunt, nicht braun“ heißt es auf Schildern an vielen Fahrzeugen.

Dieser Protest lief etwas ins Leere: Die „Omas gegen rechts“ am Fürbringerbrunnen wirkten etwas verloren.

Dieser Protest lief etwas ins Leere: Die „Omas gegen rechts“ am Fürbringerbrunnen wirkten etwas verloren. © Till Oliver Becker

Mit rot-weißem Flatterband hatten die Teilnehmer des Konvois in die Stadtmitte ihre Fahrzeuge gekennzeichnet. Etwa die Hälfte der Fahrzeuge, grob geschätzt, sind Traktoren. Der Rest: Transporter, Tieflader, Sattelschlepper, Tankfahrzeuge aus vielen unterschiedlichen Branchen. Auch viele private Pkw sind zu sehen. Einige der Autofahrer haben sich spontan entschieden, den Protestzug zu unterstützen, so wie Rolf. Der junge Familienvater aus Barenburg wollte sich am Parkplatz des Emder Media Markts ursprünglich lediglich anschauen, was gerade passiert. Letztlich lässt er sich ein Stück Flatterband geben und bindet es um einen Türgriff. „Es ist eine gute Sache“, sagt er. Und: „Wenn der Protest laut genug wird, kann die Regierung nicht mehr wegsehen.“

Lina und Nele protestierten im Kuhmuster mit.

Lina und Nele protestierten im Kuhmuster mit. © Till Oliver Becker

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