Flucht, Freiheit, Zukunft – Ein Blick auf Syriens Schicksal
Ein Abend im Marktpavillon bot bewegende Einblicke in die Geschichte Syriens – erzählt von einer jungen Frau, deren Leben durch Krieg und Flucht geprägt wurde.
Lesedauer: ca. 2min 52secÜber 30 Besucher waren am Donnerstagabend zum Vortrag zum Marktpavillon nach Norden gekommen, um Mitra Bilal bei ihrem Vortrag „Syrien, was nun?“ Gehör zu schenken. Die 25-Jährige, die seit elf Jahren in Deutschland ist, behandelte bei ihren Ausführungen ihre eigene Flucht aus Syrien, allgemeine Informationen über Syrien, historische Hintergründe, den Bürgerkrieg sowie die aktuelle Lage nach dem Sturz von Bashar al-Assad.
Aleppo: Eine Kulisse wie aus 1001 Nacht
Bilal schilderte anhand einer Präsentation mit zahlreichen Bildern ihr Leben in ihrer Heimat Syrien. Als Kurden, ohnehin in einer Minderheit, war es für die Familie schwer: Es war weder erlaubt, kurdisch zu sprechen, noch den kurdischen Namen zu benutzen. „Trotz allem hatten wir ein Leben, keine Freiheit – aber ein Leben“, erzählt die junge Frau mit Nachdruck.
Familienfotos der Bilals machen im Marktpavillon die Runde: Sie zeigen glückliche Kindertage in der architektonisch wunderschönen Stadt Aleppo, vor der Zerstörung durch zahlreiche Bombardements – mit einer Kulisse wie aus 1001 Nacht. Laue Winde und traumhafte Strände am Mittelmeer bescherten auch schöne Zeiten, wie die lächelnden Gesichter der fünfköpfigen Familie bestätigten. „Viele denken, wir lebten in der Wüste, mit Kamelen als Haustieren. Wie andere Kinder kennen wir Zeichentrickserien wie Tom & Jerry oder Heidi – nur eben in unserer Sprache“, erklärt Mitra Bilal amüsiert.
Grausame Umstände im Bürgerkrieg
Als das syrische Volk versuchte, der politischen Unterdrückung durch Proteste Herr zu werden, ging alles ganz schnell und machte eine Flucht auch für die Bilals unumgänglich: Im Jahr 2011 verschärfte sich die landesweite Rebellion und mündete in einen Bürgerkrieg. Für Syrien bedeutete dies den Einsatz brutaler Gewalt seitens der Regierung, massive Zerstörungen, Hunger und Millionen von Flüchtlingen und Todesopfern. Zahlreiche Gefängnisse bargen gefolterte und teils über vier Jahrzehnte weggesperrte Gefangene.
Als Inhaftierungsgrund reichte schon, sich negativ über die Regierung Assads zu äußern. „Eine Anklage oder die Möglichkeit zur Verteidigung gab es nicht, die Menschen waren danach schwer traumatisiert und konnten teilweise nicht mehr reden“, so Bilal. Aus Vergewaltigungen seien irgendwann Kinder hervorgegangen, während die Familie zu Hause seit Jahren leiden musste, ohne Ahnung, ob die geliebten Angehörigen noch lebten oder jemals wiederkehren würden.
Bilal erzählt auch von zahlreichen Berichten ehemaliger Gefangener, wie aus dem berüchtigten Sednaya-Gefängnis Gefängnis, auch „Schlachthaus“ genannt: Als „Ort ohne Wiederkehr“ war das Gefängnis bekannt, mit Wärtern, die sich wie Tiere verhalten hätten und mit spärlicher Versorgung mit Nahrung oder Medizin.
Übereilte Rückkehr von Flüchtlingen unrealistisch
Dass bestimmte Parteien zeitnahe Abschiebungen nach der Machtübernahme Ahmed al-Scharaas auch nur in Erwägung ziehen, ist für Mitra Bilal und ihre Familie unrealistisch. „Zum einen heißt es nicht umsonst Übergangsregierung, es brauchte drei bis vier Jahre, um überhaupt zu wissen, in welche Richtung es sich entwickelt und um eine neue Verfassung zu schaffen.“
Zudem hätten die Menschen ein Leben hier und keinen Grund, Deutschland wieder den Rücken zu kehren. „30 Prozent der Ärzte hier sind Syrer. Leider erfahren die Leute nur, wenn ein Syrer mit einem Messer auf Menschen losgegangen ist.“ Sie selbst habe sich problemlos integrieren können, erklärt Bilal in der anschließenden Fragerunde. Mit zunehmenden Sprachkenntnissen sei es für sie immer leichter geworden. Alltagsrassismus sei ihr glücklicherweise nie begegnet.
„Natürlich gibt es Menschen, die unbedingt zurückwollen nach Syrien“, so Bilal. In erster Linie gebe es nach ihrer Meinung jetzt zunächst drei Hauptziele: die Rekonstruktion mit Wiederaufbau von Städten und Infrastruktur, der politische Wandel in Form von Demokratisierung und Stabilisierung des autoritären Systems sowie die Flüchtlingsrückkehr und die Berücksichtigung der Traumata unter sicheren Bedingungen.