Jeder Tag im Hospiz ist hier ein Stück Weihnachten
Für viele ist es schwierig, die Trauer und die Weihnachtszeit unter einem Hut zu bringen. Auch im Hospiz ist es daher ein schwieriges Thema.
Lesedauer: ca. 3min 22secHage Hier wird gebastelt und gesungen, hier wird gebacken, vorgelesen, auch mal getanzt. Warum auch nicht? Das ganz normale Leben in der Vorweihnachtszeit? Schön wär‘s. Sind doch die meisten Menschen heutzutage meist viel zu beschäftigt, um sich zum Basteln, Singen und Backen zu treffen, gemütlich zusammenzusitzen, in Erinnerungen zu schwelgen, von ihren Plänen zu erzählen, Weihnachten in der Familie oder mit lieben Freunden wirklich zu genießen.
Hier, an diesem Ort in Hage, Elf Dimt 22, aber nicht. Hier bekommen Basteln, Singen und viele andere Tätig- und Fertigkeiten womöglich viel eher die Bedeutung zurück, die sie einmal hatten in der Adventszeit. Eben Familie und liebe Menschen zusammenzubringen, Gemeinsamkeit zu spüren, daraus Kräfte zu schöpfen. So wie Monika Reuter. Zu Hause hätte sie sich in diesen Tagen vor allem darum gekümmert, ihren schwerkranken Mann Engelbart bestmöglich zu versorgen, sich darüber hinaus um den Haushalt zu kümmern, einzukaufen, zu kochen, zu waschen, was eben schon im normalen Alltag so anfällt – nicht nur an Weihnachten. Dann wären viele gute Freunde und Bekannte gekommen, die Reuters sind rundum beliebt, man trifft sich gern. Aber das hätte, so gut es gemeint ist, noch mehr Arbeit bedeutet – Tee, Kaffee, Gebäck anbieten und so weiter.
„Hier fühle ich mich so ähnlich wie im Hotel im Urlaub“, sagt Monika Reuter an diesem Vormittag im Hager Hospiz, wo sie mit ihrem Mann im Zimmer bleiben und selbstverständlich auch übernachten kann. „Wir werden liebevoll umsorgt“, ergänzt sie, während sie zusammen mit anderen im Gemeinschaftsraum nahe am Kamin sitzt und frühstückt.
Man müsse sich um nichts kümmern, sagt sie, während sie ihrem Mann das aufgeschnittene Brötchen reicht. Weihnachten? Ja, die Söhne kommen aus Aurich und aus Hamburg, die Familie wird – wie fast allerorts Weihnachten – großgeschrieben. Zusammen sein, Zeit haben füreinander. Wünschen sich das nicht alle für die Feiertage? Egal ob gesund oder krank, guten Mutes oder in Trauer. Aufgehoben sein im Miteinander.
Im Hospiz wird – ja, das ist hier so – gestorben. Wohl nirgendwo liegen Leben und Tod so nah nebeneinander, Tür an Tür. Und das ist wörtlich gemeint. Aber vielleicht wird auch nirgendwo intensiver empfunden, also das Leben und damit auch der Tod intensiver ge- oder erlebt. Trauer? Tränen? Natürlich hat das hier seinen Platz – aber intensive Gefühle sind doch gerade in den Festtagen das, was jede und jeder leben, spüren, erfahren möchte. Und an diesem Ort ist alles erlaubt.
Jeden Tag im Advent kamen Ehrenamtliche ins Hospiz am Meer und auch spontan Leute von „draußen“, um einen lebendigen Adventskalender zu gestalten. Die Pfadfinder brachten das Friedenslicht, nicht nur, aber auch Schriftsteller Klaus-Peter Wolf kam zum Vorlesen, der Nikolaus kam mit jugendlicher Engelsbegleitung, täglich war Aktion, war und ist Leben.
Pflegedienstleiterin Marion Hemken-Kleen hatte die Idee mit diesem Adventskalender. Weil sie alle wissen, dass nicht jeder, der im Dezember hier einzieht, das „echte“ Weihnachtsfest erleben wird, haben sie auf diese Weise jeden Tag ein kleines Weihnachten gefeiert, jeden Tag zu einem unvergesslichen gestaltet.
Und damit auch deutlich gemacht, dass Trauer und Weihnachten unbedingt zusammengehören dürfen. Was ist wichtiger in schweren Zeiten als das Gemeinsame, das Sich-Gegenseitig-Tragen und -Helfen, sich unterstützen? Familie gleich welcher Art zu leben, die Verbundenheit, das Miteinander wertzuschätzen?
Irgendwie ist im Hospiz auch im sogenannten Alltag immer genau so ein Stück Weihnachten. Und vielleicht schauten deshalb gerade in diesen Tagen Angehörige, die im Laufe der letzten Monate den Verlust eines lieben Menschen verkraften mussten, noch einmal vorbei, überbrachten persönlich Weihnachtsgrüße, nahmen dafür auch weite Anreisewege in Kauf – all das ein Zeichen für das Hospizteam, dass man den richtigen Weg geht in diesem Miteinander. „Der Gast ist der Bestimmer“, sagt Hospizleiterin Christina Bitiq. Entsprechend ernst gemeint ist die wiederkehrende Frage: „Was möchten Sie?“
In diesem ersten Hospizjahr, also auch dem ersten Weihnachten hier, werden so haben es sich die „Bestimmer“ gewünscht, viele Gäste mit ihren Familien an festlich gedeckten Tischen sitzen. Vielleicht im kleinen Kreis, vielleicht auch mit anderen zusammen. Man möchte schauen und geschehen lassen. Natürlich werde es ein besonderes Essen geben, sagt Bitiq. Im Hospiz wolle man jedem so viel Normalität wie irgend möglich bieten. Das heißt: ein Zuhause, in dem jeder, der da ist, liebevoll aufgenommen wird, willkommen ist, das Miteinander intensiv gelebt werden kann. Wann ist es wertvoller, als zu der Zeit, da einem viel stärker als sonst bewusst ist, dass alle Tage endlich sind. Jeden Tag ein Weihnachten.