Künstliche Intelligenz lenkt Fähren durch die Nordsee
Die Reederei Frisia forscht an einem KI-Kapitän für ihren Fährbetrieb. Warum die menschliche Besatzung nichts zu fürchten hat, ist leicht erklärbar.
Lesedauer: ca. 2min 53secNorden-Norddeich Das Fahrzeug findet die passende Route, umkurvt aufkommende Hindernisse und bringt den Passagier sicher ans Ziel, während dieser ein Schläfchen hält. Der Traum autonomen Fahrens wurde in zahlreichen Kino- und TV-Produktionen visualisiert. In der Realität ist das selbstfahrende Auto bis dato nicht angekommen. Weil die Forschung nicht so schnell mitkommt, wie es die Visionäre gern hätten. Und weil die menschliche Skepsis zu hoch ist? Weil ein Computer den Menschen am Steuer nicht ersetzen soll?
Die AG Reederei Norden-Frisia wagt in Zusammenarbeit mit niederländischen Partnern, unter anderem der Rederij Doeksen, einen weiteren Anlauf, den Traum selbstständigen Fahrens zu realisieren. Das Schlagwort des gemeinsamen Projektes „Ferry Go!“ lautet „Autonome Fähren“. Neun internationale Partner – sechs Unternehmen, zwei fachliche Transfereinrichtungen und ein Forschungsinstitut – tüfteln in den kommenden dreieinhalb Jahren zu einem Thema, dessen Titel Assoziationen weckt, die so allerdings nicht zutreffen. Autonom, darunter versteht man etwas Selbstständiges. Doch was das Frisia-Team um den nautischen Inspektor Holger Eilers plant, weicht von dieser Idee ab. Seine „autonomen Fähren“, die von Norddeich nach Norderney und zurück fahren sollen, werden in naher Zukunft ganz gewiss nicht führerlos unterwegs sein. Stattdessen, erklärt er, sollen sie eine auf einer Künstlichen Intelligenz (KI) basierten Software enthalten, die den menschlichen Kapitän bei der Navigation unterstützen kann.
Ferry Go!, mit 3,7 Millionen Euro budgetiert, sieht vor, dass im kommenden Jahr Fahrdaten der Frisia- Fähren gemessen und gespeichert werden. Wann fährt ein Kapitän wie sein Schiff über die Nordsee? Wie schnell kann er sein? Welche Route ist nutzbar? Wie muss der restliche Schiffsverkehr beachtet werden? Diese und ähnliche Fragen sollen gesammelt und analysiert werden. Auch bei den niederländischen Doeksen-Partnern, die die Routen von Harlingen nach Terschelling speichern. Hierbei wird es interessant sein, wie unterschiedlich die Strecken sind, ist das Fahrwasser in den Niederlanden doch deutlich tiefer als in Ostfriesland und nicht vom stetigen Wandel durch das Wattenmeer abhängig.
Zuerst sticht „Sally“ in See
Ein Jahr lang ist für die erste Analyse vorgesehen, dann soll ein kleines Boot des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oldenburg, „Sally“, mit den gespeicherten Daten gefüttert werden und der Fähre voraus selbstständig nach Norderney fahren. Kommt „Sally“ ohne Kapitän auf der Insel an? Und fände sie auch den Weg zurück? Dies wäre ein großer Schritt.
Die KI-Technik sollte anschließend auf den Frisia-Fähren eingesetzt werden. Nicht, um Personal zu sparen, betont Holger Eilers. Sondern, um es zu unterstützen. Wie bei einem Autonavi könnte ein Kapitän die KI-Technik parallel zu seiner Steuerung nutzen und erkennen, wo er langsamer oder schneller fahren darf. Der „KI-Kapitän“ zeige dem Menschen, wie er vorrausschauender navigieren könnte, um dann effizienter und letztlich klimafreundlicher unterwegs zu sein. Ein Stellenabbau sei nicht angedacht. Auch aus Erfahrung: Denn an Bord einer Fähre befinden sich Menschen, die betreut werden wollen und sollen. Bei Fragen, bei Serviceleistungen, auch bei medizinischen Notfällen. Das könne keine Künstliche Intelligenz. Aber sicherlich, sagt Eilers, werde man im Laufe des Projektes auch Befragungen vornehmen, was Passagiere denken, wenn ein Computer ihre Fähre steuere.
Denn auch wenn Fähren sicherlich nicht ohne Kapitän aufkämen: Containerschiffe von Hamburg nach Brake wirklich autonom fahren zu lassen, sei eine interessante Zukunftsoption.
Bis dies alles funktioniert, ist noch viel internationale Arbeit nötig. „Dies“, lächelt Eilers, „sei aktuell das Spannende.“ Niederländer und Deutsche kommunizierten miteinander in ihrer jeweiligen Landessprache, irgendwie verstände man sich. Auch die Arbeitsmentalität sei unterschiedlich. Und so lerne man nicht nur im technischen Bereich dazu, sondern auch im zwischenmenschlichen. Und man erkenne: Ohne den Menschen funktioniert eine KI eben nicht.