Leistungsbezieher in Ostfriesland kommen verstärkt in Nöte
Die Arbeitsloseninitiative Aurich schlägt Alarm: Kostensenkungsverfahren können obdachlos machen
Lesedauer: ca. 2min 43secDie Arbeitsloseninitiative Aurich schlägt Alarm und befürchtet eine „soziale Katastrophe“. Hintergrund sind die von den Jobcentern seit Beginn des Jahres eingeleiteten Kostensenkungsverfahren. Im Landkreis Aurich wurden allein im Januar und im Februar 590 Schreiben an Leistungsbeziehende geschickt mit der Aufforderung, sich aufgrund der Überschreitung der Angemessenheitsgrenze entweder eine neue Wohnung zu suchen oder mit den Vermietern über eine Senkung der Miete zu verhandeln. Dies geht aus einer Anfrage hervor, die die Partei „Die Linke“ zuvor an den Landkreis gestellt hatte.
Alles, was über die Angemessenheitsgrenze hinausgeht, müssten Betroffene nach aktuellen Stand der Dinge aus eigener Tasche bezahlen. Gemäß einer Beispielrechnung dürfte die Miete für einen Single inklusive „kalter“ Nebenkosten (Wasser, Müll, Steuern etc.) höchstens 381,70 Euro betragen. „Die Wahrscheinlichkeit eine solche Wohnung zu finden, ist geringer als ein Lottogewinn“, moniert der 1. Vorsitzende der Arbeitsloseninitiative Johann Erdwiens in einem Schreiben an den Landkreis. In den Städten Aurich und Norden liege die besagte Grenze momentan bei 426 Euro beziehungsweise . 431,20 Euro. Deswegen appelliert die Initiative an die Kommune, „sich den Realitäten zu stellen“, wie es weiter in dem Schreiben heißt. Entweder sollte die Angemessenheitsgrenze angepasst werden, oder der Landkreis müsste seinerseits Wohnungen kaufen, um diese zu den genannten Konditionen zur Verfügung zu stellen. Parallel dazu sollten die laufenden Kostensenkungsverfahren bis zur „Anpassung an die Realität“ entweder eingestellt oder zumindest ausgesetzt werden. „Solange der Wohnungsmarkt so angespannt ist, und er wird es nach Ansicht der Initiative weiterhin bleiben, sind alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Leistungsträger unnötig und Druck setzen und in Existenznot bringen“, fordert Erdwiens in dem Schreiben und bietet Betroffenen Unterstützung an: „Wer sich dagegen wehren möchte, soll gerne zu uns in die Beratung kommen. Wir helfen euch.“
Ein Mittel, um drohende Leistungskürzungen zu verhindern, ist laut Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das Vorlegen von Protokollen, die das Bemühen um eine Wohnungssuche dokumentieren und zeigen, dass ein Umzug „unwirtschaftlich“ wäre. Allerdings moniert die Linke in ihrer Anfrage, diese Option sei nur den wenigsten bekannt, weil in den jeweiligen Bescheiden die Hinweise dazu fehlen würden. „Da ein solches Protokoll schlecht im Nachhinein erstellt werden kann, werden Menschen die De-Facto-Kürzung hinnehmen müssen oder obdachlos werden“, warnt die Partei. „Ein weiteres Problem ist, dass man online selten eine Antwort von den Anbietern bekommt.“ Zudem würden häufig wichtige Angaben fehlen, weshalb sie in einem Protokoll erst gar keine Berücksichtigung fänden. Erschwerend käme noch hinzu, dass viele Vermieter schon in ihren Angeboten ausschließlich Berufstätige ansprechen würden. Damit hätten Transferleistungsbezieher oft ohnehin von vorneherein gar keine Chance.
Angesichts der Dringlichkeit hatte die Linke versucht, am vergangenen Montag einen Antrag zu dem Thema im Sozialausschuss des Landkreises Aurich einzubringen, damit der Kreistag noch vor der Sommerpause am 17. Juni darüber entscheiden kann. Der Antrag kam jedoch aus formalen Gründen gar nicht erst auf die Tagesordnung. Immerhin kündigte der Leiter des Amtes für Jugend und Soziales Michael Müller an, in der nächsten Sozialausschusssitzung ausführlich über den aktuellen Sachstand zu informieren. Diese Sitzung findet dann allerdings erst am 18. Juni statt. Unterdessen steigt die Zahl verschickten Schreiben mit einer Aufforderung zur Kostensenkung im Landkreis Aurich kontinuierlich an. Laut einer Mitteilung der Behörde vom 15. Mai liegt sie inzwischen bei insgesamt 736.