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Erstellt:
19. Oktober 2025, 10:00 Uhr

Ostfriesland: Abschied nehmen zwischen den Inseln

Warum immer mehr Menschen vor der Nordseeküste ihre letzte Ruhe suchen und was bei einer Seebestattung geschieht

Lesedauer: ca. 4min 02sec
Seebestattungen sind derzeit eine gefragte Alternative zu Erdbeisetzungen. Kapitän Benjamin Albrecht führt Trauerzeromonien auf der „Horizont“ durch. Foto: Wolfgang Stelljes

Seebestattungen sind derzeit eine gefragte Alternative zu Erdbeisetzungen. Kapitän Benjamin Albrecht führt Trauerzeromonien auf der „Horizont“ durch. Foto: Wolfgang Stelljes ©

Die Deutschlandfahne weht auf Halbmast am Heck der „Horizont“. Das 24 Meter lange Schiff liegt im Hafen von Harlesiel an der ostfriesischen Nordseeküste. Es wurde eigens für Seebestattungen gebaut, bis zu 100 Personen können mitfahren.

An diesem Morgen erwartet Kapitän Benjamin Albrecht allerdings nur drei Trauergäste: Ehemann, Sohn und Schwager einer Verstorbenen. Deren Urne ist bereits an Bord, im Salon unter Deck, umrahmt von drei roten Rosen.

Albrecht trägt eine Kapitänsuniform mit vier Streifen auf dem Schulterstück. Seine Reederei ist der größte Seebestatter an der ostfriesischen Küste. „Wir machen nichts anderes.“ Bis zu dreimal am Tag fährt er raus. „Mehr lässt die Tide nicht zu.“ Albrecht ist weltweit aktiv und organisiert auch Beisetzungen vor Mallorca, in der Karibik oder unter der Golden Gate Bridge in San Francisco.

Warum Menschen

das Meer wählen

Der 43-Jährige begrüßt die Hinterbliebenen und fragt, ob er später ein paar Worte sprechen soll. Die Angehörigen stimmen zu. Die eigentliche Trauerfeier hat bereits an Land stattgefunden, das ist fast immer so, sagt Albrecht. „Das ist jetzt nur noch der letzte Abschied.“ Er erfährt, dass bereits die Mutter der Verstorbenen auf See beigesetzt wurde. Nun soll die Tochter möglichst an gleicher Stelle ihre letzte Ruhestätte finden. „Die Familie hat hier immer Urlaub gemacht.“

Das ist auch der Hauptgrund für Seebestattungen an der ostfriesischen Küste, sagt Albrecht. „Deshalb hat Nordrhein-Westfalen hier auch den höchsten Anteil an Seebestattungen.“ Früher durfte auf diese Weise nur bestattet werden, wer nachweislich einen Bezug zur See hatte, doch das ist lange her.

Hinaus aufsoffene Wasser

Ganz langsam, mit dreieinhalb Knoten, gerade mal sechs Kilometern pro Stunde, nimmt die „Horizont“ Fahrt auf. Links stehen Wohnmobile auf der Hafenmole Spalier, rechts wartet die Fähre „Wangerooge“ auf Urlauber. Es geht zunächst drei Kilometer geradeaus, durch die schmale Fahrrinne im Wattenmeer. Die Trauergäste stehen auf dem Achterdeck und haben ihre Jacken ausgezogen.

Decksmann Stefan Bohlen, der zweite Reederei-Mitarbeiter an Bord, legt eine CD ein, die die Angehörigen mitgebracht haben. Meist wird nur ein Lied gewünscht, sagt Albrecht. „Die Klassiker sind ‚Sailing‘ von Rod Stewart, ‚So wie du warst‘ von Unheilig und ‚Die letzte Fahrt‘ von Santiano.“ Letzteres ist sogar für eine Seebestattung geschrieben.

Die See ist ruhig. Erst als die „Horizont“ aus dem Windschatten der Insel Wangerooge heraustritt, lassen hereinrollende Wellen das Schiff ein wenig schaukeln. „Auflaufendes Wasser“, sagt Bohlen, der jetzt am Steuer steht, und gibt etwas mehr Gas.

Acht Kilometer

vor der Küste

Albrecht vertieft sich kurz noch einmal in die vorbereitete Rede, zieht seine Kapitänsjacke über und geht aufs Achterdeck. Dort reicht er jedem Trauergast eine Rose – so war es abgesprochen – und stellt die Urne neben die Schiffsglocke.

Decksmann Bohlen stoppt den Motor. Die „Horizont“ hat ihr Ziel erreicht, ein Gebiet zwischen den Inseln Spiekeroog und Wangerooge, ungefähr acht Kilometer vor der Küste. Die Behörden haben es für Seebestattungen freigegeben. Rund 20 Meter ist die Nordsee hier tief. Entscheidend ist, dass auch bei Ebbe genug Wasser über der Urne ist.

Dann verliest Benjamin Albrecht ein Gedicht, spricht ein paar persönliche Worte und schlägt mit der Schiffsglocke acht Glasen – vier Doppelschläge, ein seemännischer Abschiedsgruß. „Das kommt traditionell aus der Segelschifffahrt und bedeutet: Es findet ein Wachwechsel statt.“ Steuerbord, also auf der rechten Schiffsseite, lässt der Kapitän die Urne an einem Tau zu Wasser. Wenige Minuten später treiben nur noch drei rote Rosen auf den Wellen und zeigen an, wo die Urne im Wasser versank.

Was nach 48 Stunden

geschieht

Bei Seebestattungen muss sich die Urne spätestens nach 48 Stunden aufgelöst haben. In der Regel handelt es sich um Cellulose-Urnen, sagt Kapitän Albrecht. „Die wiegen nicht viel, sind mit Kies oder Sand beschwert und haben unten Löcher, damit Wasser eintreten kann.“ Die Asche versandet, wird vielleicht auch durch die Strömung ein wenig verteilt. Das Zerstreuen von Asche ist in Deutschland verboten.

Die „Horizont“ umrundet noch einmal die Stelle, an der die Urne zu Wasser gelassen wurde – eine letzte Ehrerweisung. Decksmann Bohlen macht Fotos von den im Wasser treibenden Rosen; im Hintergrund steht der mächtige Westturm von Wangerooge. Die Trauergäste stehen gedankenverloren auf dem Achterdeck, jeder für sich an der Reling. „Wir wissen nie, was uns erwartet“, sagt Albrecht, „manchmal ist die Trauer so groß, dass man es noch auf Wangerooge hört.“ Ein langer Signalton aus dem Schiffshorn beendet die Zeremonie, ganz langsam nimmt das Schiff wieder Fahrt auf, Kurs Harlesiel.

Die Seegrabmappe

und was danach kommt

Nach gut zwei Stunden ist die „Horizont“ wieder im Hafen. Kurz vor dem Anlegen übergibt Albrecht den Angehörigen die „Seegrabmappe“. Sie enthält Fotos, die Bohlen von der Urne und der Beisetzung gemacht hat, eine Seekarte, in der die genaue Position der Beisetzung markiert ist, und den Auszug aus dem Schiffstagebuch. Darin ist unter anderem festgehalten, wann die Beisetzung stattgefunden hat. Eine Kopie geht als Bestattungsnachweis an das Krematorium.

Albrecht bietet Trauergästen auch Gedenkfahrten mehrmals im Jahr an. Und er lädt sie ein, die „Brücke der Erinnerung“ zu besuchen. Dabei handelt es sich um eine Gedenkstätte in Form eines Schiffshecks. Sie liegt auf der anderen Seite des Hafens, am Rande der Salzwiesen. Der Blick geht nach Nordwesten, in Richtung Wangerooge und Spiekeroog. An hölzernen Stelen hängen Tausende kleine Tafeln aus Edelstahl mit den Namen der Verstorbenen, dem Geburts- und Sterbedatum und der Beisetzungsposition.

„Unsere Erfahrung ist, dass Angehörige einen Ort brauchen, wo sie Blumen ablegen und aufs Wasser gucken können“, sagt Albrecht und stoppt den Motor. Am Anleger wartet bereits die nächste Trauergemeinde. Das Rosengesteck liegt ebenfalls bereit. Eine Mitarbeiterin der Reederei bringt Butterkuchen.

Links, Tipps undpraktisches Wissen

Angebote und Standorte: Seebestattungen werden von zahlreichen Häfen an der Nord- und Ostsee, aber auch von Inseln wie Norderney, Helgoland, Sylt, Rügen oder Usedom angeboten, zum Beispiel unter seebestattung-albrecht.de, www.seebestattung.adler-schiffe.de.

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