Ostfriesland: Die Rückkehr der Seepferdchen
Seit einiger Zeit sind sie an der Nordseeküste wieder zu entdecken. Aber warum?
Lesedauer: ca. 3min 51secUm das Vorkommen seltener Seepferdchen in der deutschen Nordsee zu untersuchen, erhalten Wissenschaftler zunehmend Meldungen über Strandfunde angespülter Tiere. Im aktuellen Bestand der Datenbank des Portals Beach Explorer seien 98 Fundmeldungen von Kurzschnäuzigen Seepferdchen (Hippocampus hippocampus) aus dem Wattenmeer seit 1949 erfasst, sagte Rainer Borcherding von der Schutzstation Wattenmeer.
Davon stammen 53 aus Niedersachsen, 18 aus den Niederlanden, 15 aus Schleswig-Holstein, neun aus Dänemark sowie drei aus der offenen Nordsee. Die Zahlen aus den Niederlanden sind den Angaben zufolge jedoch unvollständig. Die Schutzstation Wattenmeer ist Projektträger des Beach Explorers, der vom Bundesamt für Naturschutz gefördert wird.
Die weitaus größte Zahl der Funde stammt aus den vergangenen drei Jahren. Von vor 2000 liegen nur sieben Funde aus 50 Jahren vor. In den 20 Jahren bis 2019 waren es fünf Funde. 2020 und 2021 wurden jeweils acht Stück gemeldet. Im Jahr 2022 waren es 38 und im vergangenen Jahr weitere 23 Funde. Und in diesem Jahr wurden bereits neun Pferdchenfunde gemeldet. Von den 70 Funden aus den Jahren 2022 bis 2024 stammen 40 aus Niedersachsen, zwölf aus Schleswig-Holstein, elf aus den Niederlanden, fünf aus Dänemark und zwei aus der Nordsee.
Noch geben die Funde der seltenen Tiere Forschern Rätsel auf. Es ist bislang nicht eindeutig geklärt, woher die Tiere stammen oder ob es möglicherweise feste Populationen in der deutschen Nordsee gibt. „Die Funde zeigen, dass Seepferdchen in den Spülsäumen im Wattenmeer häufiger werden“, sagte Hans-Ulrich Rösner, Leiter des WWF-Wattenmeerbüros der dpa. „Auch wenn die Tiere immer noch selten sind, so ist das doch ein Anlass zur Freude. Wir wissen aber noch nicht, ob sich die Seepferdchen schon bei uns im Wattenmeer angesiedelt haben, oder ob sie durch Stürme von anderen Küsten angetrieben werden.“
Strandspaziergänger sollen Funde melden
Um ihre Herkunft zu klären, suchen Wissenschaftler im Rahmen eines Forschungsprojekts seit 2022 nach angespülten, leblosen Tieren. Strandspaziergänger sind dabei zur Mithilfe aufgerufen: Wer angespülte tote Seepferdchen an Stränden findet, soll die Funde melden und bei Nationalpark-Häusern abgeben. Dort werden die Tiere dann eingefroren und später ans Festland gebracht. Die unter Schutz stehenden Tiere mit nach Hause zu nehmen, ist nicht erlaubt.
An der niedersächsischen Küste sind so bislang insgesamt 17 frischtote Funde von Kurzschnäuzigen Seepferdchen eingesammelt worden, wie eine Sprecherin des Oldenburger Landesmuseums Natur und Mensch auf dpa-Anfrage mitteilte. Das Museum koordiniert das Projekt in Niedersachsen. Alle Funde stammen von den Ostfriesischen Inseln.
Zudem erreichte vor Kurzem auch ein getrocknetes Seepferdchen aus dem Jahr 1976 von Juist die Wissenschaftler. „Wir bekommen immer mal wieder Hinweise von Menschen, die früher mal Seepferdchen gefunden haben. Auch solche Altfunde sind wichtige Belegexemplare für unsere Sammlung“, teilte die Museumssprecherin mit.
Anders als in Niedersachsen sind Finder in Schleswig-Holstein nicht aufgerufen, die Tiere einzusammeln und an bestimmte Stellen zu schicken. Sie sollen vielmehr liegen gelassen und es soll nur ein Foto gemacht werden. Dies soll dann mit möglichst genauen Daten zu Fundort und -zeit an den WWF geschickt oder im Beach Explorer hochgeladen werden.
Der Beach Explorer ist zum einen eine digitale Bestimmungshilfe für mehr als 1500 Arten von Strandfunden der Nordseeküste. Außerdem bieten App und Internetanwendung allen Benutzerinnen und Benutzern die Möglichkeit, die eigenen Funde in einer Datenbank zu melden. So könne über die Jahre ermittelt werden, wo welche Dinge angespült werden und ob sich die Häufigkeit mit dem Klima oder mit Meeresschutzmaßnahmen ändert, sagte Borcherding von der Schutzstation Wattenmeer. Der Beach Explorer werde durch jeden gemeldeten Strandfund aussagefähiger. „Mit über 50000 Datensätzen können wir bereits viele Veränderungen dokumentieren und bewerten. Das hilft der Wissenschaft und auch dem Naturschutz.“ Es gibt eine Qualitätskontrolle mit der sichergestellt wird, dass die Funddaten des Beach Explorers auch für wissenschaftliche Auswertungen nutzbar sind.
Noch ist die Datenlage zu dünn für Aussagen
Die Forscher hoffen auf weitere Seepferdchen-Funde in diesem Jahr. Denn noch sei die Datenlage zu vage, um umfassende Aussagen zum Vorkommen zu treffen. Geplant ist, die Funde in einem weiteren Forschungsprojekt an der Universität Kiel genetisch zu untersuchen. Dazu werde ein Stück Gewebe aus der Flosse der Tiere entnommen und dann sequenziert, sagte Benedikt Wiggering, Experte für Biodiversität bei der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven. „Damit wir genauer wissen, aus welcher Population sie tatsächlich kommen.“
Die Kurzschnäuzigen Seepferdchen gelten seit den 1930erjahren im Wattenmeer als nahezu verschwunden. Ihr Lebensraum sind etwa Tang-, Algen- oder Seegraswiesen, die ständig mit Wasser überflutet sind. Vor der niedersächsischen Küste sind solche Habitate derzeit nicht bekannt - allerdings vor der niederländischen Küste und im Ärmelkanal.
Deshalb ist eine These der Forscher, dass die Tiere von dort verdriftet und an der deutschen Küste angespült werden. Dafür spreche auch, dass bislang nur junge männliche Tiere gefunden werden, sagte Wiggering. Gäbe es eine feste Population, müssten auch ältere oder weibliche Tiere mit der Zeit entdeckt werden, ist Wiggering überzeugt. „Wir haben bislang aber keinen Hinweis auf eine konstante Population.“
Eine andere These ist, dass es neben Seegraswiesen auch andere, neue Lebensräume für die Tiere gibt. An den Fundamenten von Offshore-Windkraftanlagen etwa siedele sich Blasentang an, in dem auch Seepferdchen leben könnten, sagte Wiggering.
Auch inwieweit die Erwärmung der Nordsee einen Einfluss auf das Vorkommen haben könnte, nehmen die Forscher in den Blick. „Wir haben die Hypothese, dass der Klimawandel das Vorkommen der Seepferdchen positiv bedingen kann“, sagte Wiggering. Dies sei wahrscheinlich aber eher ein sekundärer Effekt als ein eigentlicher Auslöser.