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30. August 2024, 09:00 Uhr

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Sohn tötet Mutter im Wahn – Was steckt hinter der grausamen Tat?

Ein 38-Jähriger tötet seine Mutter in einem psychischen Ausnahmezustand. Das Gericht spricht ihn frei, doch die Hintergründe lassen viele Fragen offen.

Lesedauer: ca. 2min 50sec
Das Gericht zieht den Angeklagten strafrechtlich nicht zur Verantwortung.

Das Gericht zieht den Angeklagten strafrechtlich nicht zur Verantwortung. © Ute Bruns

Aurich/Norden Alle Prozessbeteiligten waren sich nach der Beweisaufnahme einig: Der 38-jährige Norder, der in Tidofeld seine Mutter getötet hat, kann wegen aufgehobener Steuerungsfähigkeit strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen und muss in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden. „Es sind übereinstimmende Schlussanträge gestellt worden. Auch die Kammer schließt sich dem aus eigener Überzeugung an“, betonte Richter Björn Raap in der Urteilsbegründung.

Sicher war am Ende auch, dass der Angeklagte in Tötungsabsicht auf seine Mutter einstach. Die Spurenlage und die Obduktion ergaben, dass der Messerattacke kein Kampfgeschehen vorausging, dass es ein einseitiger Angriff gegen die Mutter war. „Der Angriff muss von heftigen Emotionen begleitet gewesen sein“, meinte der Vorsitzende. Das zeige die besondere Kraft, die Intensität und die Zielrichtung des Angriffs.

Doch hinter dieser Tötungsabsicht steckten wahnhafte Vorstellungen, die den Angeklagten zu einem anderen Menschen werden ließen. Bis zu seiner Erkrankung hatte er ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern. Doch die paranoide Gedankenwelt, die einer psychischen Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis entsprang, machte sie in Augen des Angeklagten zu Mitgliedern eines Komplotts gegen ihn.

Wahnvorstellungen bestimmten sein Leben

Der 38-Jährige unterlag der Vorstellung, dass Drogendealer, mit denen er in der Vergangenheit zu tun hatte, hinter ihm her waren, ihm nach dem Leben trachtete. Mit diesem Bild im Kopf kam der Norder am 6. Februar zum Polizeikommissariat Norden, um Anzeige gegen diese Männer zu erstatten und ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden. Doch seine Geschichte war so wirr, sein Verhalten so auffällig, dass die Polizei ihn in die Norder Psychiatrie brachte. Die verließ er nach einer Nacht wieder.

Drei Tage später hatte er eine Auseinandersetzung mit seiner Mutter, hatte sich aber noch so weit im Griff, dass er selbst die Polizei anrufen konnte. Doch die Psychose verstärkte sich immer mehr. Der Angeklagte zog auf den Dachboden um, hielt nächtelang Wache, flüchtete über Felder und kehrte ins Elternhaus zurück, weil er sich von Drohnen verfolgt fühlte. Und in ihm keimte das Gefühl auf und verfestigte sich zunehmend, dass seine Eltern Teil des Komplotts gegen ihn waren, sein Essen und seine Zigaretten vergifteten. „Die Psychose hat meinem Mandanten das Leben zur Hölle gemacht“, sagte Verteidiger Andreas Lauven.

Verlust von zwei geliebten Menschen

Und die Hölle besteht offenbar für den Norder fort. Er hat im Prozess Fragen beantwortet, aber ansonsten kaum gesprochen. Er lehnt Kontakt zu seinem Vater und seiner Schwester ab. Die Angehörigen erleben so im Grunde den Verlust von zwei geliebten Menschen.

„Wir sind überzeugt, dass Sie der Behandlung dringend bedürfen, damit Sie, aber auch Ihre Familie, die extrem leidet, in die Zukunft schauen können“, erklärte Richter Björn Raap in Richtung des Angeklagten. „Die Nebenkläger stehen vor einem Scherbenhaufen“, sagte die Anwältin Silke Rößler-Miska. Vater und Schwester des Norders hofften, dass der 38-Jährige irgendwann die Hilfe annimmt, die die Angehörigen anbieten, sodass man alles verarbeiten kann.

Die Unterbringung war aber auch in anderer Hinsicht anzuordnen. Denn der psychiatrische Sachverständige Wolfgang Trabert hatte dargelegt, dass die Krankheit nach wie vor besteht, es wieder zu gefährlichen Impulsdurchbrüchen kommen kann und der Kreis der Personen, die vom Angeklagten als Teil des Komplotts wahrgenommen werden, ständig erweitert werde. „Der Angeklagte sagte dem Gutachter, er wisse sich im Gefängnis zu wehren, wenn er dort angegriffen würde“, merkte Oberstaatsanwältin Annette Hüfner an.

Das Gericht schloss sich der Auffassung an, dass die Allgemeinheit geschützt werden müsse und wandelte den Haftbefehl in einen Unterbringungsbefehl um. Gleich nach Schluss der Verhandlung wurde der Mann in eine psychiatrische Klinik gebracht.

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