Kruithoff: „Das haben die Mitarbeitenden nicht verdient!“
Inzwischen haben alle gemerkt: Die Lage ist ernst. VW will sparen, und setzt dabei bei Arbeitnehmern und Standorten an. Die Reaktion reichen von Entrüstung bis Zustimmung. Emdens Oberbürgermeister hält das Werk für „sicher“. Der Überblick:
Lesedauer: ca. 3min 41secEmden/Berlin/Wolfsburg Während die Emder IG Metall am Dienstagabend den Kampf um die Arbeitsplätze in Emden und im gesamten VW-Konzern eröffnet hat, melden sich jetzt auch andere Politiker zu Wort. Hier ein Überblick:
Betriebsversammlung in Wolfsburg
Karte
Mit lautstarken Protesten hat die Belegschaft bei Volkswagen gegen die Sparpläne des Vorstands protestiert. Auf der Betriebsversammlung in Wolfsburg verteidigte die Konzernspitze vor mehr als 16.000 Beschäftigten ihre Sparpläne. Betriebsratschefin Daniela Cavallo kündigte harten Widerstand an und will Werkschließungen, Entlassungen und Lohnkürzungen nicht hinnehmen.
Welche Standorte müssen bangen?
VW macht bisher keine Angaben, ob tatsächlich ganze Werke geschlossen werden sollen und welche Standorte konkret es treffen könnte. Finanzvorstand Arno Antlitz erklärte auf der Betriebsversammlung aber: „Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke.“ Schuld seien nicht Fehler von VW, sondern die generell schwache Nachfrage nach Neuwagen in Europa.
Sorgen machen sich vor allem die Standorte außerhalb Wolfsburgs. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hatte sich am Montag mit Blick auf die drei sächsischen Werke in Zwickau, Chemnitz und Dresden „alarmiert“ gezeigt. In Niedersachsen sorgen sich vor allem Osnabrück, Emden und Braunschweig um die dortigen Standorte. Weitere Werke gibt es neben dem Stammwerk Wolfsburg in Hannover, Salzgitter und Kassel.
Der Konzern hatte zuvor erklärt, Werkschließungen wären nur die letzte Maßnahme, wenn es nicht gelinge, mit schnellen Maßnahmen gegenzusteuern. Bei VW wäre es das erste Mal seit 1998, dass ein Werk komplett verschwindet. Damals hatte VW die Fabrik in Westmoreland in den USA dicht gemacht. In Deutschland wurde noch nie ein VW-Werk geschlossen.
Tim Kruithoff: Das haben die Beschäftigten nicht verdient!
Emden Oberbürgermeister Tim Kruithoff war noch vergangene Woche im VW-Werk zu Gast, um sich gemeinsam mit Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) die
Fertigung der E-Modelle anzuschauen. Die Botschaft des Werkes: Der ID.7 läuft und läuft und läuft. Die Verkaufszahlen sind in die Höhe geschnellt. Am Mittwoch nun hat Kruithoff folgendes Statement verbreitet:„Beginnend mit der Nachricht, dass das Werk Emden künftig „vollelektrisch“ sein wird, habe ich Volkswagen in den letzten fünf Jahren intensiv begleitet. Ich habe gesehen, was die Nachricht mit den Mitarbeitenden gemacht hat - welche Sorgen und Nöte das ausgelöst hat. Aber, die Emder Volkswagen-Familie hat die Ärmel hochgekrempelt und ist an die Arbeit gegangen, hat die Transformation herausragend gemeistert und in Rekordgeschwindigkeit 1.300.000.000 Euro in die Zukunftsfähigkeit verbaut - mit allen notwendigen Genehmigungen und norddeutschem Understatement. Ich bin der festen Überzeugung, dass alle Mitarbeitenden in Emden das nicht verdient haben. Außerdem gehe ich fest davon aus: Unser Emder Werk ist sicher und zukunftsfähig! Das Werk Emden baut hervorragende Autos. Der ID.7 Tourer ist nicht nur ein schickes Auto, sondern auch allerfeinste deutsche Ingenieurskunst.“
Wolfsburg: Erstes Showdown der Kontrahenten bei der Betriebsversammlung
Nach dem Bekanntwerden der Sparpläne bei VW kommt die Belegschaft am Mittwoch zu einer Betriebsversammlung zusammen. Am frühen Nachmittag soll es zudem eine Presserklärung geben mit der Vorsitzenden des Gesamt- und Konzernbetriebsrates der Volkswagen AG, Daniela Cavallo, und dem Bezirksleiter der IG Metall in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Thorsten Gröger. Gröger hatte im Interview mit dem KURIER gesagt: Die jetzige Lage sei eine Folge der Fehlentscheidungen des Vorstandes in der Vergangenheit. Die Belegschaft darf jetzt nicht dafür büßen.
Die Lage bei VW
VW hatte am Montag verkündet, bei der Kernmarke kräftig sparen zu müssen. „Auch Werkschließungen von fahrzeugproduzierenden und Komponenten-Standorten können in der aktuellen Situation ohne ein schnelles Gegensteuern nicht mehr ausgeschlossen werden“, hieß es. Der bisher geplante Stellenabbau durch Altersteilzeit und Abfindungen reiche nicht mehr aus, um die angepeilte Einsparziele zu erreichen. Gewerkschaft und Betriebsrat kündigten umgehend massiven Widerstand an.
Bundesarbeitsminister Heil: Alle Standorte müssen gesichert sein!
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat sich mit Blick auf die Sparpläne bei VW für den Erhalt aller Standorte ausgesprochen. „Es ist jetzt Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Standorte, und zwar alle Standorte, gesichert werden und dass
betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden“, sagte der SPD-Politiker dem Sender ntv. „Dafür muss es jetzt Verhandlungen geben. Das ist die Stunde der Betriebs- und Sozialpartnerschaft. Das hat auch gute Tradition bei Volkswagen“. „Aber jetzt ist erst mal das Unternehmen am Zug“, sagte Heil. Vorstand, Betriebsräte und Gewerkschaft müssten vernünftige Lösungen hinbekommen, um alle Standorte zu sichern.
Bundeswirtschaftsminister Habeck: Deutschland muss starker Automobilstandort bleiben
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schaltet sich in die Krise bei Volkswagen ein. Der Grünen-Politiker teilte in Berlin mit, Entscheidungen müssten in enger
Abstimmung mit den Sozialpartnern erfolgen und das Ziel im Blick behalten, dass Deutschland ein starker Automobilstandort bleibe. „Alle Beteiligten müssen ihrer Verantwortung für die Beschäftigten in den Standorten gerecht werden.“
Wirtschaftsexperte: Ein notwendiger Weckruf
Zuspruch kam dagegen von Wirtschaftsexperten. „Die angekündigten Maßnahmen sind überfällig, um eine Trendwende einzuleiten und eine Krise zu verhindern“, sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach sprach von einem
notwendigen Weckruf. Ohne einschneidende Maßnahmen drohe Volkswagen, in einigen Jahren zum Sanierungsfall zu werden. „Die Situation ist noch im Griff, aber in wenigen Jahren kann das ganze existenzgefährdend werden.“ Dem müsse man nun vorbeugen. „Und das geht nicht mit Samthandschuhen.“