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2. Juli 2024, 07:00 Uhr

Neue Ideen für den Tourismus auf den ostfriesischen Inseln

Junge Unternehmer und Insulaner setzen sich für attraktivere Urlaubsziele in ihren Gemeinden ein

Lesedauer: ca. 4min 32sec
Rund um die Ostfriesischen Inseln wird das Kitesurfen immer beliebter. Archivfoto: noun

Rund um die Ostfriesischen Inseln wird das Kitesurfen immer beliebter. Archivfoto: noun © Stürenburg noun

Ostfriesland Die neue Milchbar „Sonnendeck“ auf Borkum ist zu einem beliebten Spot zum Sonnenuntergang geworden. Direkt am Strand, in stylishem Ambiente, können die Gäste mit einem Frozen Sanddorn Colada in der Hand der Sonne dabei zusehen, wie sie am Horizont verschwindet. „Der Cocktail ist eine eigene Kreation, er läuft extrem gut“, sagt Hendrik Bremer, der im September 2023 zusammen mit seiner Frau die neu gestaltete Milchbude auf der Insel als Pächter eröffnete.

Inseln gehen mit der Zeit

Milchbuden haben auf Borkum eine rund 100-jährige Tradition. Sie wurden errichtet, als immer mehr Badegäste die Insel entdeckten. Anfangs wurde nur Milch verkauft. Die Zeiten sind längst vorbei. Mit den lichtdurchfluteten Milchbuden der neuen Generation spricht die Insel auch ein jüngeres Publikum an.

„So wie sich die Gästegenerationen verändern, gehen dadurch auch die Inseln mit der Zeit“, sagt der Geschäftsführer der Ostfriesischen Inseln GmbH, Göran Sell. Demnach tragen junge Unternehmer und kreative Köpfe vor allem auf den größeren der Ostfriesischen Inseln dazu bei, Zielgruppen zu erweitern und neue touristische Angebote zu schaffen.

Enno Schmoll kennt einige junge Insulaner und Neu-Insulaner, die bereit sind neue Wege zu gehen. „Es gibt auf den Inseln tolle, junge engagierte Unternehmer“, sagt der Professor, der sich an der Jade Hochschule mit Tourismusentwicklung beschäftigt und oft auf den Inseln ist. Viele seien von dem Gedanken motiviert: „Was können wir besser machen?“ Manche kämen dazu bewusst vom Festland auf die Insel. Sie brächten Wissen und Erfahrungen mit, um damit etwas Neues aufzubauen. „Es gibt jüngere Generationen, die nachkommen, auch neue Ideen haben und diese mit viel Esprit angehen. Das macht Freude, das zu sehen.“

Partys und Inselgefühl

Auch Baltrum, die kleinste der Inseln, haben junge Unternehmer für sich entdeckt. 2020 eröffnete Ben Hinrichs mit einem Kompagnon „Uschis Beachclub“ samt Kiteschule. Angesprochen werden soll explizit ein jüngeres Publikum. „Während der Corona-Zeit haben auch die 18- bis Mitte 20-Jährigen Baltrum für sich entdeckt“, sagt Hinrichs. Oder „wieder entdeckt“, denn viele würden die Insel von Urlauben in ihrer Kindheit kennen. Nun können sie in „Uschis Beachclub“ Partys feiern und „Original-Uschis-Playlists“ herunterladen. „Unsere Gäste sollen das Inselgefühl mit nach Hause nehmen können“, sagt der 39-jährige Hinrichs.

So wie die neuen Borkumer Milchbuden wollen die Betreiber von Uschis Beachclub Tradition mit Moderne verbinden: Der Name Uschi geht auf die erste Wirtin der Bretterbude zurück. „Wir wollen Uschi zur Marke machen“, betont Ben Hinrichs. Trotzdem sei Baltrum weit davon entfernt, eine Partyinsel zu werden. „Hier findet man trotzdem weiter seine Ruhe.“

„Die Tourismus-Intensität auf den Ostfriesischen Inseln ist beständig sehr hoch. Aber sie wird auch akzeptiert“, sagt Tourismusforscher Schmoll. Anders als etwa auf Mallorca, wo zuletzt Tausende gegen Massentourismus demonstrierten, gebe es ein solches Bild nicht. „Viele Menschen leben ja vom Tourismus“, sagt Schmoll mit Blick auf die Ostfriesischen Inseln. Das hätten die Insulaner besonders in der Corona-Zeit zu spüren bekommen. Viele seien froh gewesen, als Gäste wieder für Urlaube auf die Inseln kommen durften.

Noch ist der Tourismus aber auf den Inseln nicht ganz wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen: Die Inseln verbuchten 2023 rund 5,4 Millionen Übernachtungen und knapp 880 000 Gästeankünfte - das sind noch 5 Prozent beziehungsweise 3,7 Prozent weniger als 2019, wie aus Daten des Landesamtes für Statistik hervorgeht.

Natur und Outdoor gefragt

Corona habe nicht nur dafür gesorgt, dass zunehmend junge Menschen die Ostfriesischen Inseln für sich entdeckt haben. Durch die Pandemie sei auch die Nachfrage nach Naturerlebnissen und Outdoor-Aktivitäten verstärkt worden, berichtet der Geschäftsführer der Ostfriesischen Inseln GmbH. Damals suchten viele Gäste nach Möglichkeiten, sich an der frischen Luft zu bewegen und die Natur zu genießen. Die Einschränkungen führten dazu, dass Menschen, die sonst ins Ausland gereist wären, auf die deutschen Inseln fuhren. Viele der neuen Gäste - etwa aus Süddeutschland - sind nach Ende der Pandemie und dem Wegfall der Reisebeschränkungen wiedergekommen, wie Sell berichtet.

Die Pandemie und weitere internationale Krisen machten den Urlaub auf den Inseln zuletzt an vielen Stellen teurer. Wie auf dem Festland stiegen Preise in der Gastronomie und in der Hotellerie an. Eine Entspannung ist vorerst nicht absehbar, die Stimmung in der Tourismusbranche an der Küste trübte sich zuletzt wieder ein. In der aktuellen Saisonumfrage der Industrie- und Handelskammer in Ostfriesland, zu deren Bezirk auch die Inseln gehören, nannten sieben von zehn befragten Betrieben aus dem Gastgewerbe die Energie- und Lebensmittelpreise als größtes Risiko für ihren Betrieb. Fast die Hälfte gab an, dass deswegen Preise für Übernachtungen und Essen weiter steigen werden.

Inwieweit das Leben auf den Ostfriesischen Inseln zuletzt überdurchschnittlich teurer als andernorts geworden ist, lasse sich nur schwer nachvollziehen, sagt Tourismusforscher Schmoll. Denn einen Überblick über die statistische Entwicklung von Preisen speziell auf den Inseln gibt es bislang nicht. Klar sei, dass Inselurlauber die höheren Preise spürten. „Es gibt auch Ostfriesische Inseln, wo man immer noch mit weniger Geld im Urlaub auskommen kann.“ Doch die Inflation lasse viele Menschen im Allgemeinen preissensibler werden.

Mit Sorge sieht Schmoll, dass der Wohnraum und der Besitz der Insulaner auf nahezu allen Inseln schwindet. Auf Sylt beschreibe der Begriff „Syltisierung“, wie Dauerwohnraum verkauft und in Ferienwohnungen umgewidmet werde. „Das ist auch ein Phänomen, was wir auf den Ostfriesischen Inseln beobachten“, sagt der Wissenschaftler. Allerdings sei der Umwidmung in Ferienwohnungen inzwischen rechtlich Grenzen gesetzt worden. „Aber was wir gleichzeitig erleben, ist ein Ausverkauf der Inseln. Wohnraum und Immobilien werden verkauft an Personen, die nicht mehr vor Ort leben.“ Das habe vielfältige Folgen.

Und auch die Klimakrise und ein wachsendes Bewusstsein für klimaschonendes Reisen verändern den Inseltourismus - etwa beim Angebot. Möglicherweise gewinnen die Inseln damit neue Gäste. Für die Inseln stellt das Ziel, mittelfristig klimaneutral zu werden, aber viele Herausforderungen dar. Der Klimawandel selbst sorgt bereits jetzt für Schwierigkeiten und Kosten, denn die Intensität der Herbst- und Winterstürme hat zugenommen. Durch starke Stürme geht viel Sand verloren, Badestrände müssen aufgefüllt werden. Auch Dünen werden wiederhergestellt, um Schutz etwa bei Sturmfluten zu bieten.

Auch die Milchbuden müssen im Winter zur Sturmflutsaison abgebaut werden, so wie es die Küstenschutzvorgaben vorsehen. Dann hat Betreiber Hendrik Bremer wieder mehr Zeit für seine Familie, mit der er dauerhaft auf die Insel gezogen ist. „Für Kinder ist es sehr gut, hier aufzuwachsen“, sagt Bremer. Sein Sohn könne allein mit seinem Rad in die Kita fahren. Auch Ben Hinrichs genießt das Inselleben mit seiner Familie auf Baltrum. „Ich habe vorher in NRW gewohnt und war jahrelang im Vertrieb tätig“, berichtet er. „Ich wollte nicht mehr ständig im Auto sitzen und im Stau stehen.“ Er lebt nun dort, wo andere Urlaub machen. „Seitdem zeigt meine Pulsuhr acht Schläge weniger pro Minute an“, sagt der 39-Jährige.

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