Tränen in den Augen: Die Bahn verliert ihr freundliches Gesicht in Norden
Das Reisezentrum im Norder Bahnhof ist seit Freitagabend geschlossen. Nach 141 Jahren endet die persönliche Beratung von Fahrgästen. Auch die Dienstzeit von Dirk Plum endet damit. Es war eine bedrückende Atmosphäre.
Lesedauer: ca. 2min 48secVon Stefan Bergmann und
Christian Schmidt
Norden Es fühlte sich an, als nähme ein enges Familienmitglied Abschied: Rund 50 Norderinnen und Norder verabschiedeten am Freitagabend Dirk Plum an seinem letzten Arbeitstag in Norden. Elf Jahre lang saß er täglich im Reisezentrum am Norder Bahnhof und beriet die Kunden, verkaufte Fahrkarten, suchte knifflige Verbindungen heraus, musste vermutlich auch einiges an Ärger abfangen, wenn mal wieder Züge später, anders oder auch gar nicht fuhren. Für die Bahn arbeitet er aber schon länger, seit 34 Jahren.
Mit so vielen Besuchern hat niemand gerechnet
Dass ein paar ehemalige Kunden kommen würden zum Abschied, damit hatte man gerechnet. Aber dass es so viele waren, dass sie kaum alle in das kleine Reisezentrum passen - das war überraschend. Der Chef von Dirk Plum war auch vor Ort. Er sagte: „Ich habe es in 40 Jahren bei der Bahn noch nicht erlebt, dass ein Mitarbeiter aus der
Fahrkartenausgabe so verabschiedet wurde!“ Doch er betonte auch, dass er „nur das ausführende Organ“ sei, die Entscheidungen würden woanders getroffen.
Die Entscheidungen fielen in Hannover und Hamburg
Die Entscheidungen, sie wurden getroffen in Hannover und Hamburg. Die Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG), eine staatliche Einrichtung, hatte schon vor langer Zeit entschieden, dass Norden aufgrund der geringen Fahrgastzahlen keinen echten Menschen mehr braucht, um Fahrkarten zu verkaufen. Die Bahn - sie führt die Entscheidungen der LNVG aus und berechnet dafür die Kosten - hatte in den letzten Jahren aus eigenen Stücken trotzdem noch den Herrn Plum in Norden beschäftigt. So sagte es eine Sprecherin Mitte dieses Jahres zum KURIER.
Es war eine bedrückende Zeremonie
Der Abschied am Freitag war nicht fröhlich. Die Menschen zeigten ihre Dankbarkeit, doch sie waren bedrückt. Dirk Plum, jenem Bahn-Mitarbeiter, der das Aushängeschild des Konzerns in Norden war, standen die Tränen in den Augen. Grablichter auf seinem Schreibtisch sprachen Bände. Er wird jetzt in Oldenburg Dienst tun. Aber auch nur übergangsweise. Denn auch diese Arbeitsstelle dort wird mittelfristig wegfallen. Die Bahn schafft ihre freundlichen Gesichter ab.
Ins Reisezentrum zieht jetzt die Norder Museumseisenbahn ein. Für einen Mini-Preis nutzt sie die Räume als Vereinsgeschäftsstelle, hin und wieder berät sie ein paar Stunden die Bahnkunden. Plum ist skeptisch. „Ob das gutgeht? Da fehlt doch einiges an Bahnwissen.“
Der Kämpfer für das Reisezentrum ist enttäuscht
Bahnwissen - das hatte Plum. Geduldig, freundlich lächelnd, zurückhaltend: So tat er seinen Dienst. Der Norder Eberhard Giese hatte eine Unterschriftensammlung gestartet, als Mitte des Jahres herauskam, dass Land und Bahn das Reisezentrum schließen wollen. Bürgermeister Florian Eiben hatte frühzeitig angekündigt, das Reisezentrum retten zu wollen. Doch die Petition war vergebens, auch der Protest vom Seniorenbeirat. Von Bürgermeister Eiben habe er nicht einmal eine Antwort bekommen, nachdem er die Petition eingereicht habe, sagt Giese. „Dröhnendes Schweigen“ nennt er das. „Dröhnend“, weil Eiben „in vertraulichen Gesprächen“, O-Ton Giese, längst in Verhandlungen mit Bahn und Museumseisenbahn stand über die weitere Nutzung. Kein Wunder: Die Räume und der gesamte Bahnhof gehören der Stadt, nicht der Bahn.
Und dann unterbrach Dirk Plum die kleine Zeremonie. „Ich muss eben noch die letzte Fahrkarte ausstellen“, sagte er. Nahm sie, steckte sie in einen Umschlag, wie er es in den vergangenen elf Jahren tausendfach gemacht hat. Wen sie wohin führt: Das blieb geheim.
Und dann wird das Reisezentrum abgeschlossen. Nach 141 Jahren endet die Zeit, in der am Norder Bahnhof Menschen persönlich beraten wurden.
Jetzt gibt es ein Videoreisezentrum.